Wie werde ich cool?

DIESER TEXT HAT NICHTS MIT MODE ZU TUN

Seit wann gebrauchen wir eigentlich das Wort „cool“? Meine noch ziemlich jungen Eltern tun sich mit dem Begriff nach wie vor schwer, was darauf hindeuten muss, dass er noch nicht so lange im Umlauf ist. Vielleicht seit zwanzig Jahren oder so. Davor sagte man Gerüchten zufolge „dufte“ oder „knorke“, wenn man als junger Mensch etwas oder jemanden richtig cool, pardon, gut fand. Oder was bedeutet „cool“ eigentlich genau? In den letzten Wochen der täglichen Modeberichterstattung haben wir das Wort wieder und wieder gelesen und gehört. Die Modewelt liebt bekanntlich alles, was cool ist – die spiegelnden Sonnenbrillen bei Balenciaga, die schief geknöpften Hemden bei Jacquemus, die Punkfrisuren bei Marc by Marc Jacobs. „Not cool“ sagt Carine Roitfeld, wenn sie ihren Smoothie nicht rechtzeitig zum Fotoshooting serviert bekommt oder ein gebuchtes Model zu dick findet.

Cool ist etwas, das alle sein wollen und trotzdem keiner in Worte fassen kann. Cool zu sein ist, genau wie Popstar werden, eine Kunst für sich – das weiß jeder, der jemals in der neunten Klasse mit bibbernden Knien auf der Bank in der Sporthalle saß und als letztes armseliges Überbleibsel in eines der Fußballteams gewählt wurde. Die Coolen wurden immer als erstes gewählt. Die Uncoolen konnten froh sein, wenn sie im Tor stehen durften. Was unterscheidet die coolen Menschen von den uncoolen? Was ist cool eigentlich für ein komisches Wort? Seit Jahrtausenden suchen Generationen von Teenagern nach einer Definition für ‚cool‘. Die Modewelt glaubt, dass man Coolness anziehen kann. Dass das ein Irrtum ist, lernen wir anhand eines einfachen Fallbeispiels: Marlon Brando (siehe oben).

Marlon Brando trägt auf diesem Bewegtbild eine gestreifte Krawatte zum schwarzen Anzug und den Haarschopf sauber hochtoupiert. Was ihn hier aber so unwiderstehlich cool erscheinen lässt, ist nicht das Outfit. Es ist die Art, mit der dieser wahnsinnig gutaussehende Mann die Augen verdreht und dabei den Mund zu einem verschmitzten Grinsen verzieht. Spitzbübisch. So wie einer, mit dem man Pferde stehlen kann.

Coole Menschen wie Marlon Brando haben etwas Verwegenes an sich und wirken dabei doch ungemein charmant. Cool sind Leute, von denen man gar nicht erwartet hätte, dass sie cool wären und die deshalb doppelt cool sind – zum Beispiel Prinz Phillip und Königin Elizabeth auf Safari, in farblich passenden Tweed-Outfits und mit dem coolsten Accessoire von allen: einem grünen Geländewagen (hier zu sehen). Cool sind diejenigen Leute, die gar nicht wissen, dass sie gerade cool sind. Sie machen einfach, was sie selbst aus unbeeinflusstem Antrieb in genau diesem Moment für richtig halten; nicht, was man von ihnen erwartet. Cool ist Caroline Kennedy (wie hier zu sehen): sie lässt ihren Vater, den damals mächtigsten Mann der Welt, ihre Puppe tragen, während sie strahlend vorneweg hüpft.  Saucool ist auch der gestriegelte Business-Mann, der auf dem Weg zur Arbeit mal schnell eine Sprühflasche aus dem Jackett zieht und eine Hauswand verziert. Cool sein heißt authentisch sein, niemanden kopieren, ohne sich etwas auf die eigene Individualität einzubilden.

Neulich war ich zum Beispiel in der Bar „Jimmy’s“ in Downtown, und traf dort mit genau dieser Sorte Mensch zusammen. Der Typ fragte, was ich trinken wolle. „Campari Orange“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen, mein signature drink seit Teenagertagen. Ich trinke selten was anderes. „Seriously? Wer bist du, Großmutter?“ lautete sein Kommentar. Wenn es etwas gibt, was ich total uncool finde, dann sind das Leute, die mir weis machen wollen, ich würde einen uncoolen Cocktail trinken. Und wenn meine Großmutter auch Campari Orange trinkt – so what? Der Idiot hat meine Großmutter noch gar nicht kennen gelernt, sie ist dreimal so cool wie er selbst, wie übrigens viele Großmütter, die sich meistens nicht mit dem auskennen, was gerade hip ist und genau deshalb ganz unabhängig selbst entscheiden, welchen Drink sie trinken und welches Oberteil sie anziehen wollen.

Showboat-ShirleyZiemlich cool sind deshalb auch Leute, die sich gut selbst verarschen können – Selbstironie ist vielleicht gar der Gipfel der Coolness. Dagegen gibt es nichts Schlimmeres als Menschen mit zu viel Aftershave hinterm Ohr und dem krampfhaften, todernst gemeinten Bedürfnis, um jeden Preis cool rüberkommen zu wollen. Das sind genau die Sorte Mitbürger, die immer ganz laut und mit offenem Mund Kaugummi kauen, als wäre es ein Designer-Hubba-Bubba, und dabei allen Leuten in Hörweite tüchtig auf die Nerven gehen.

Damit kommen wir zu dem vielleicht essentiellsten Punkt bei der Definition von „cool“: unter keinen Umständen darf man den Begriff mit „trendy“ verwechseln. Trendy sind Frauen, die Lederhosen bei Isabel Marant kaufen. Cool sind dagegen Leute, die auch mal was machen, was im Allgemeinen als uncool gilt. Zum Beispiel Mandoline spielen. Kein Handy besitzen. Im Anzug Schlittschuh fahren. Oder ihr Kind Otto nennen, obwohl gerade Namen wie Luca, Finn oder Anton hip sind. Tatsächlich ist Coolness das Gegenteil von Hipness, denn Hipness ist vorhersehbar, Coolness nicht. Deshalb lässt sich letzteres auch so schwer definieren. Wie werde ich also cool? Die Frage bleibt unbeantwortet, aber so viel steht fest: Mode kann man kaufen. Cool muss man sein.

Die coolsten Leute aller Zeiten zur Inspiration in der Übersicht (Bilderquelle: Distractify):  
Frank Sinatra
Sean Connery macht Pause
Boxkampf unter Frauen, Los Angeles, 1933
Drei Jungs posieren in Jamaica auf der Straße
Jimi Hendrix, 1967
Familienfoto, um 1900
Geschäftsmann/Graffiti-Künstler

 

Paar auf der Michigan Avenue, Chicago, 1975
Schlittschuhfahrer im Anzug