Leben in der Horizontalen

DER DIWAN IST EIN KLASSIKER FÜR LEISTUNGSBEREITE HEDONISTEN 

Für Menschen, die beim Essen gerne die Beine hochlegen, gibt es ein hervorragendes Möbelstück, das im Laufe der Jahrhunderte allerdings zum Erstaunen aller Beteiligten völlig aus der Mode gekommen ist: der Diwan. Im alten Rom hieß das lehnenfreie Römersofa dreiliegiges Triclinium, was verwirrend ist, denn tatsächlich ist der Diwan für eine Person gedacht, nicht für drei. Gerüchten zufolge sollen die Leute in der Antike bei ihren groß angelegten Festessen so viel gegessen haben, dass die Damen sich zur Erleichterung des ventriculus zwischendurch eine Pfauenfeder in den Hals steckten. Bulimie war damals wohl noch keine verbreitete Essstörung, es muss also wirklich viel zu Essen gegeben haben. Da schien es sinnvoll, sich bereits während des Speisens in eine horizontale Position zu begeben. Im Liegen machen Fressorgien einfach mehr Spaß.

Als Relikt römischer Zeiten ist der Diwan definitiv ein Kandidat für diese Klassiker-Kolumne. Doch obwohl die Chaiselongue bis heute eine hervorragende Figur in Wohnzimmern der Gegenwart machen würde, ist sie dort bedauerlicherweise nur noch allzu selten anzutreffen. Es ist nicht so, dass Form und Farbe des Modells aus der Mode gekommen wären. Aber seine ursprüngliche Funktion entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Heute isst kaum noch einer im Sitzen, geschweige denn im Liegen, alle rennen herum und schieben sich zwischendurch in der U-Bahn ein Sandwich rein. Auch bis dato nicht-snacktaugliches Essen wie Suppe und Salat gibt es neuerdings for take away, beides lässt sich gut im Stehen aus der Plastikschale löffeln.

Liege von Ferdinand Kramer

Doch ein waschechter Klassiker kann natürlich mehr als nur eine Funktion erfüllen. Wenn man heute nicht im Liegen essen will, dann kann man den Diwan immerhin für den Mittagsschlaf nutzen. Als Kind habe ich auf der Rückseite der Kellogg’s-Packung beim Frühstück immer die Lebenstipps des Cornflakes-Herstellers gelesen, die da lauten, man solle sich 1. gut ernähren (mindestens drei Portionen Kellogg’s pro Tag), 2. viel Sport treiben und 3. auch tagsüber ausreichend Zeit für Pausen einplanen. Klingt toll. Ich kann mir solch einen mittäglichen Powernap wirklich herrlich vorstellen, allerdings bin ich als latent hyperaktiver Mensch mitten am Tag nie ausreichend entspannt, als dass ich mich ganz sorgenfrei für eine gesundheitsfördernde Mittagsruhe richtig ins Bett legen könnte. Außerdem gefährlich: wenn man sich, gerade im Winter, erstmal ins Bett gelegt hat, ist es schwierig, wieder herauszukommen.

Für unsere leistungsbereite Gesellschaft kommt da der Diwan als Kreuzung aus Bett und Sofa sehr gelegen. Dank der Rückenlehne kann man in aufrechter Position Zeitung lesen, Emails schreiben, Onlineshoppen. Die Beine aber liegen bereits senkrecht, was durchaus dazu einlädt, zwischendurch mal kurz die Augen zu schließen und die Batterien aufzuladen.

Unsere Gesellschaft ist nicht nur leistungsbereit, sie besteht auch aus lauter Einzelgängern. Gut ein Drittel der deutschen Haushalte wird von Singles bewohnt. Warum diese Haushalte nicht mit entsprechenden Möbeln bestücken? Der Diwan ist wie gemacht für Alleinhaushaltende, da er ja technisch gesehen nicht mehr als ein verlängerter Sessel ist. Man kann darauf prima alleine sitzen, ohne sich einsam zu fühlen – anders als auf einem großen 3-Mann-Sofa, auf dem ich persönlich ohne Sitznachbarn immer schnell in Depressionen verfalle. Doch gerade das verlängernde Element des Diwans wappnet dieses Möbel für jegliche Eventualitäten: denn falls man doch mal Besuch da hat, dann kann man auf dem Diwan durchaus auch zu zweit sitzen.

Weil der Diwan zwar ein Klassiker, aber kein Massenprodukt ist, haftet ihm genau wie der Schlaghose dieser spezielle Hauch von Extravaganz und mondänem Hedonismus an. Das liegt sicherlich auch daran, dass schon Dionysos, der Gott des Weins, auf den Diwan schwor. Für den Diwan gibt es, nebenbei bemerkt, eine ganze Reihe weiterer Begriffe: Chaiselongue, Rècamiere, Day Bed oder Ottomane. In diesem Wort steckt übrigens ein weiterer Klassiker: der Jungenname Otto. Könnte man auch mal wieder reanimieren.

Header: Diwan von De Sede

Diwan von Vitra
Diwan von Zeitraum
Chaiselongue von Habitat

 

Diwan von Habitat
Diwan von Atelier Alinea
Daybed von Bassam Fellows
Daybed von Minotti
Biedermeier-Recamière, um 1825
Diwan von Gärsnäs
Recamière von Ikea
Chaiselongue von Minotti
Diwan von Minotti
 
Ottomane von Fashion for Home
Recamière von Ikea