Klassiker: Der Schminkkoffer

KANN MAN AUCH ALS WAFFE VERWENDEN

Der Schminkkoffer ist der Werkzeugkasten der Frau. Sie kann darin ihre Waffen verstauen: Concealer, Puderdose, Lippenfarbe, Augenbrauenstift. In Fragen der Optik ist sie dem Mann somit entschieden überlegen: hinter der Schminke kann sie sich verstecken, die Müdigkeit kaschieren, sommerliche Bräune vortäuschen, Sinnlichkeit betonen. Männer können das nicht. Weil Männer keine Schminke benutzen, brauchen sie auch keinen Schminkkoffer. Männer demonstrieren ihre Überlegenheit auf anderen Gebieten, zum Beispiel dort, wo montiert und gebohrt wird. Das tut der Mann mithilfe seines Werkzeugkastens. Er schraubt an den Wänden, wir schrauben an unseren Gesichtern. Soviel zur Rollenverteilung. Und zur Analogie von Schminkkoffern und Werkzeugkästen.

Interessant ist nun die Feststellung, dass der Werkzeugkasten nie aus der Mode gekommen ist, der Schminkkoffer dagegen schon. Nie sieht man eine Frau mit Schminkkoffer, die meisten besitzen gar keinen. Warum ist das so? Und wieso ist der Verlust des Schminkkoffers zu bedauern?

Es ist wie in so vielen Bereichen des modernen Lebens: der Mensch, also auch die Frau, ist praktisch geworden. Wir tragen keine Pumps mit Seidenstrümpfen mehr, sondern Turnschuhe, wir schreiben keine Briefe mehr, sondern SMS, wir reisen nicht mehr mit der Postkutsche, sondern dem Flugzeug, am Flughafen kommen wir mit einem elektronischen Ticket an, nicht mit einem Billet aus Papier, unsere Koffer sind nicht mehr aus Leder und umständlich zu schleppen, sondern aus Plastik und mit vier Rollen. Vieles im Leben ist durch all die Funktionalität bequemer, aber auch stilloser geworden.

Nicht so praktisch: Schminkkoffer mit integriertem Spiegel von Cindy Sherman für Louis Vuitton

Wenn Frauen früher auf Reisen gingen, dann hatten sie stets einen Schminkkoffer dabei – und außerdem mindestens fünf weitere Behältnisse, in denen Materialien unterschiedlichster Art einzeln verpackt wurden. Da gab es Hutschachteln, Lederkoffer, Pakete, dazu die Handtaschen. Man hatte alle Hände voll zu tun damit, seinen Krempel von A nach B zu schleppen. Weil die Herren den Damen früher noch die Türen aufhielten, war das allerdings kein Problem. Heute, wo wir emanzipiert sind, uns selbst die Türen aufhalten und dankend ablehnen, wenn uns einer das Gepäck die Treppen hochtragen will, wären wir mit etwas so Sperrigem wie einem Schminkkoffer wahrlich nicht gut beraten. So hat wohl auch die Clutch ihren Siegeszug erlebt: erstens ist sie so klein, dass man sie beim Abendessen, anders als einen Schminkkoffer, bequem neben dem Teller drapieren kann und die berufstätige Frau damit immer ihre lebenswichtigsten Utensilien griffbereit hat: Handy, Kreditkarte, Lippenstift, Organspendeausweis. (Scherz! Ich meinte natürlich den Reisepass.)

Weiterhin kann man sich eine Clutch prima unter den Arm klemmen und hat damit beide Hände frei, um eine Email zu schreiben, ein Flying-Dinner-Häppchen zu essen (mit dem Siegeszug der Funktionalität starb nicht nur der Schminkkoffer, sondern auch das gesetzte Abendessen aus), Geld abzuheben oder per Fernbedienung das Auto aufzuschließen. So etwas gefällt den Frauen heute: sie wollen geschäftig aussehen. Anders als Carrie Bradshaw, die in der 6. Staffel von „Sex and the City“ mit drei rosa gepunkteten Koffern, Schminkkasten und Hutschachtel nach Paris zieht. Dort tut sie dann nicht viel außer Tee trinken im Plaza, Kuchen essen bei Ladurée und Einkaufen bei Dior. Eine locker formulierte Faustregel besagt: je mehr Gepäck eine Frau dabei hat – egal ob im Alltag oder auf Reisen – desto weniger hat sie zu tun. Als Frau nichts zu tun zu haben mag früher mal in Ordnung gewesen sein, heute gilt es als Schande. Deshalb ist der Schminkkoffer, Symbol der weiblichen Müßigkeit, ausgestorben. Schade eigentlich.

Der etwas andere Schminkkoffer: Limited Edition Beauty Case von PUPA, gefunden hier

Denn so ein Schminkkoffer ist eine feine Sache. Weil darin alles so schön aufgeräumt ist – die Lippenstifte nach Farben sortiert, die Puderdosen in der Etage darunter, Mascarabürsten sorgfältig aufgereiht. Mit einem Schminkoffer kann man das Schminken als richtiges Ritual zelebrieren, nicht als gehetztes im-Gesicht-herumpinseln, mit Puder, das vom Transport in der Handtasche bröselig geworden ist, oder flüssig gewordenem Lippenstift, dem es in der Hosentasche zu warm wurde. Der Schminkkoffer lädt in seiner altmodischen Sperrigkeit, die dem ersten Macintosh Computer von 1984 ähnelt, dazu ein, der omnipräsenten Funktionalität einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wie so viele Klassiker, die wir hier bereits besprochen haben – Autos mit Flügeltüren, Pyjamas, Ottomanen, Schlaghosen – haftet auch dem Schminkkoffer etwas latent Hedonistisches an. Er ist eine Trotzreaktion gegen Effizienz und Praktikabilität.

Nicolas Ghesquière sieht das übrigens genauso und legt den Schminkkoffer, wie gerade in Paris zu sehen war, deshalb nun für den Winter 2015 in unterschiedlichsten Versionen neu auf. Den Louis-Vuitton-Schminkkoffer kann man auch als Handtasche verwenden – eine, in die viel reinpasst und in der man der geometrischen Silhouette wegen endlich einmal alles findet. Und sollte Frau mal in eine brenzlige Situation kommen, so lässt sich solch ein spitzkantiger Schminkkoffer, Behältnis der Waffen einer Frau und an sich ebenso eine Waffe, sicherlich auch zur Selbstverteidigung zweckentfremden. Wir sehen: es ist Zeit für das Comeback des Schminkkoffers.

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