Muss man am Samstagabend feiern gehen?

UND WAS GENAU FEIERT MAN DA ÜBERHAUPT??

Bild: Tyrone Lebon für VOGUE UK

Du bist nur einmal jung, sagte meine Freundin L. am vergangenen Samstag, als ich um 22 Uhr mit halbgeschlossenen Augen in der Tür lehnte und schon so fast im Stehen schlief. Es war mal wieder so weit: ich kämpfte schwer gegen meinen inneren Ausgeh-Schweinehund. Warum legst du dich nicht ins Bett und schaust einen Film, sagte der. Wieso gehst du nicht mal wieder raus und betrinkst dich, fragte L. Was das Ausgehen betrifft, bin ich eine richtige Spießbürgerin. Ich war noch nie im Berghain. Ich gehe gerne in Restaurants und in Bars und um 2 Uhr nachts nach Hause. Und jeden Montag, an dem ich ausgeschlafen, unverkatert und zufrieden aufwache, frage ich mich: was habe ich dieses Wochenende wohl verpasst?

Du bist nur einmal jung, diese Mahnung, die eigentlich mehr wie ein Vorwurf klingt, muss ich mir in Bezug auf das Ausgehen ständig anhören – als ob das Feierngehen die einzig richtige Methode sei, seine Jugend zu genießen. Die Leute, egal ob Altersgenossen oder fortgeschrittenere Generation, wollen einen ständig daran erinnern, dass nichts unendlich sei, erst recht nicht die Zwanziger. Sofort fühle ich mich schlecht und gräme mich, ich würde mein Jungsein nicht so nutzen, wie ich es nutzen sollte. Genau wie ein Mensch, der in den Urlaub fährt und dann nur im Hotelzimmer sitzt, anstatt vom schönen Wetter zu profitieren.

Aber ist das wirklich so – nutze ich meine Jugend weniger, bloß weil ich nicht gerne bis 5 Uhr morgens feiern gehe? Wer weniger feiert, ist länger jung, könnte man ebenso gut sagen. Und was heißt überhaupt dieses „feiern“? Was feiern wir da? Ist diese Feierei nicht auch eine Illusion vom großen Spaß, dem großen die-Sau-raus- und die-Hemmungen-fallen-lassen, endlich, weil die Arbeit überstanden und das Wochenende da ist?

In New York wurde ich mal an einem Freitagabend von ein paar Freunden ins Bungalow 8 geschleppt. Das Bungalow 8 galt einst als Laden, in dem die Leute das Gegenteil von dem taten, was das gepflegte Bürgertum von ihnen erwartete. Heute geht das gepflegte Bürgertum selbst ins Bungalow 8. Das sieht dann so aus, dass mehrere Flaschen Alkohol auf teuer gebuchten Tischen platziert werden, an denen sich Anzugträger mit Gelfrisur und Blondinen in kurzen Kleider aalen und so tun, als würden sie sich richtig gut amüsieren. Für zusätzliche Partymotivation sorgt ein Bespaßungskommittee in Form von jungen Damen in engen roten Kleidern, die auf den Tischen tanzen und mit Wunderkerzen wedeln. Man merkt, dass sich die Leute im Bungalow 8 anstrengen, Spaß zu haben. Das „Feiern“ gleicht hier einem Wettbewerb, es sieht nach Arbeit aus. Aber ist der Freitag nicht eigentlich der Tag, an dem man sich nach 18 Uhr von der Arbeit verabschieden sollte?

Ich liege an einem Freitagabend gerne auf der Couch und tue genau das, worauf ich Lust habe, was in der Regel das Gegenteil von dem ist, was die Gesellschaft von mir erwartet. Darin sehe ich nämlich das größte Problem an der Feierei: sie wird von Dir erwartet. Es wird erwartet, dass Du Spaß hast. Es wird erwartet, dass Du cool bist und abenteuerlustig, dass Du die richtigen Leute kennst, den wichtigsten Türsteher, den aktuellsten Cocktail, den besten DJ, und so weiter. All das kann Spaß bedeuten, das will ich gar nicht bestreiten. Aber es bedeutet auch Stress, denn an so einem Ausgeh-Freitag steht viel auf dem Spiel: viel Geld zum Beispiel, das man für Cocktails und Clubeintritte ausgibt. Viel Zeit, die man darauf verschwendet, mit seinen Freunden darüber zu diskutieren, wo man denn jetzt hingehen soll. Und viele hohe Erwartungen, die schnell enttäuscht werden. Die Luft im Club ist plötzlich so stickig, die Musik eintönig, die Drinks schauderhaft, die Leute selbstverliebt. Dafür hat man zehn Euro Eintritt bezahlt. Eigentlich findet man das alles anstrengend, die schwitzenden Menschen, die scheppernden Beats, wie schön wäre es, jetzt im Bett zu liegen. Aber nein, jetzt bist Du schon mal hier und es ist doch erst halb 5! Nach ein paar Stunden schleppst Du Dich mit Kopfschmerzen und nassen Haaren durch den Regen nach Hause, mit 40 Euro weniger in der Tasche, die Du auch wunderbar in ein richtig gutes Abendessen hättest investieren können.

Das klingt jetzt alles so richtig zynisch und lässt mich wie einen ziemlich spaßbefreiten Menschen aussehen. Stimmt so aber auch nicht: ich halte mich gerne in einer feinen Bar auf, ich trinke gerne ein paar richtig gute Drinks, und wenn in dieser Bar auch noch schwungvolle Musik läuft, dann bin ich die Letzte, die an einem Samstagabend mit einer faulen Ausrede wie „Ich muss morgen noch arbeiten“ von dannen zieht. Meine Idealparty würde wie das neue Musikvideo von Nile Rodgers „I’ll be there“ aussehen: da tanzt Karlie Kloss erst in Unterwäsche und Tennissocken auf dem Schlafzimmerteppich, bevor sie einen weißen Overall überzieht und in den Club hechtet. Zu solch einer Sause sage ich auch nicht Nein! Aber leider funktionieren die wenigsten Abende wirklich so, gerade dann, wenn man sich gegen seinen geheimen Willen zum Ausgehen zwingen musste. Die legendären Nächte meiner bescheidenen Partykarriere kann ich an einer Hand abzählen. An den meisten anderen Abenden habe ich hinterher gedacht: war ganz nett. Aber den ganzen Aufwand irgendwie nicht wert.

Nun bin ich neuerdings liiert. Meine partylustigen Single-Freunde teilt dieser Umstand in zwei Lager.

Super, sagen die Freundlichen, dann musst Du jetzt nicht mehr ausgehen, Deinen Prinzen hast Du ja vorerst gefunden.

Na toll, sagen die anderen, ab jetzt ist nichts mehr mit Dir anzufangen.

Die erste Fraktion frage ich: geht man denn aus, um einen Partner zu finden? Wie technisch! Ich dachte, der Freitagabend sei für die Freizeit und nicht für die mühsame Suche nach einem geeigneten Gefährten gedacht. Den anderen Leuten sage ich: auch ohne Freund hatte ich keinerlei Gelüste, ins Berghain zu gehen. Clubs reizen mich einfach nicht.

Als ich 16 war, sah das natürlich ganz anders aus. Wenn Leute mich für langweilig halten, weil ich die meisten Berliner Diskotheken nur aus der Zeitung kenne, beeile ich mich zu erzählen, dass ich in der elften Klasse so viel ausgegangen bin, dass der Baalsaal auf der Reeperbahn zu meinem zweiten Wohnzimmer wurde. Ich war da Stammgast, sage ich dann stolz. Einmal habe ich sogar auf dem Sofa neben der Bar gepennt, und das bei 100 Dezibel! Clairette schnarchend im Club – schon damals hätte man ahnen können, dass es mit meiner Party-Karriere nicht weit her sein würde.

Aber mit 16 war das Ausgehen toll, und zwar vor allem deshalb, weil es neu, fremd und eigentlich streng verboten war. Um 1 Uhr morgens musste man zuhause sein, aber weil das die Zeit ist, zu der die meisten Diskotheken erst ihre Türen öffnen, wurden Methoden erdacht, den elterlichen Befehl zu umgehen. Man erwartete von Dir, pünktlich zuhause zu sein, Du machtest das Gegenteil. Das bedeutet Freizeit für mich: das zu tun, worauf ich Lust habe. Heute bin ich 2o, das Ausgehen ist für mich legal, wann ich nach Hause gehe, entscheide ich, und alles, was von mir erwartet wird, ist, dass ich mich möglichst gepflegt amüsiere. So gehört sich das nämlich, wenn Du jung bist und in Berlin. Aber was ist denn daran noch Freude, wenn Dir Dein soziales Umfeld allwöchentlich am Freitagabend klar zu machen versucht, dass Du unbedingt ausgehen musst? Wo der Zwang beginnt, hört die Freizeit auf. Das ist das Problem, dass ich mit dem Ausgehen habe.

Feiern gehen heißt auf Vorsatz Spaß haben. Aber jedes Kind weiß, dass der größte Spaß erst dann einsetzt, wenn man die guten Vorsätze mal beiseite lässt. Trotzdem scheint das Ausgehen in unserer Gesellschaft als Tugend, wenn nicht Pflicht angesehen zu werden. Das Junge-Menschen-Magazin NEON brachte vor ein paar Jahren mal eine ganze Titelgeschichte zum Thema raus. In allen Lebensbereichen, hieß es da, würden wir stets an der Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung arbeiten. Nur beim Feierngehen seien wir faul. Das müsse geändert werden: die Tanzfläche im Club sei schließlich ebenso wie der Konferenzraum als gesellschaftliche Bühne zu betrachten, auf der man optimal performen müsse. Außerdem sei Spaß ein essentieller Bestandteil des Lebens. Also los: wo sind die Drinks? Ab in den Club! Alle jetzt sofort Spaß haben und sich jung fühlen!

Ich halte es für ein Gerücht, dass man nur beim Feierngehen von seiner Jugend profitiert. Jung sein bedeutet vor Energie und Tatkraft zu strotzen, Träume und Visionen zu haben, Ideen zu verwirklichen. Das kann man auf einer Tanzfläche tun oder am Sonntagmorgen am Küchentisch, wo ich mich häufig schon um halb zehn einfinde, um die Zeitung zu lesen, einen Kaffee zu trinken und Pläne für den Tag zu schmieden. Nie würde ich Leuten, die noch im Club tanzen, während ich schon frühstücke, ihre Freude am Partyexzess vorwerfen. Aber mir wird meine Feierabstinenz ständig als Spießbürgerlichkeit angelastet. Muss das sein? Jeder soll Spaß haben, wie er oder sie es für richtig hält. Man ist schließlich nur einmal jung.