Gleich zu Anfang eine dringende Meldung: Instagram hat einen neuen Hashtag, er lautet #CaKe. Cara Delevingne und Kendall Jenner in einem Wort. Der Hashtag verzeichnet aktuell sagenhafte 28 831 846 Bilder, die meisten davon zeigen Sahnetorten. Was macht diese Information so interessant? Cara und Kendall sind mal wieder im Gespräch. Wegen eines Hashtags. So funktioniert also das Dasein als It-Girl.
Was ist eigentlich ein It-Girl?
Zur Definition des Begriffs lohnt es, das Wort zunächst in seine Einzelteile zu zerlegen. Was ein Girl ist, wissen wir, aber wer oder was ist It? Die britische Schriftstellerin Elinor Glyn schrieb dem ersten aller It-Girls Clara Bow eine „innere Magie, einen animalischen Magnetismus“ zu. Das US-Magazin Wired dozierte: „Sie ist berühmt, weil sie berühmt ist.“ Übersetzt wird It häufig mit „gewissem Etwas“. Seit 2009 ist das It-Girl auch im Duden zu finden. Dort steht: „Junge oder jüngere Frau, die durch ihr häufiges öffentliches Auftreten in Gesellschaft prominenter Personen und ihre starke Medienpräsenz einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist.“
Es geht bei der Beschäftigung It-Girl also weniger um Inhalte als um Verbreitung. Aber wie kommt es zu besagter Medienpräsenz, wie kommt es, dass manche Frauen von heute auf morgen begehrter werden als alle Designerhandtaschen der Welt zusammen?
Ich weiß noch genau, wann mir das Wort It-Girl zum ersten Mal begegnete. März 2007, im Zug Richtung Skiferien, die neue InStyle auf dem Schoß. „It-Girl Mischa Barton im Hippiekleid“ las ich dort unter einem Bild der honigfarben gebräunten Schauspielerin. Mischa Barton war damals ein Dauerbrenner in den Modemagazinen. Alle wollten aussehen wie Mischa Barton, Urlaub machen wie Mischa Barton, den gleichen Bikini wie Mischa Barton, den gleichen Boyfriend wie Mischa Barton, und vor allem wünschten wir, ihre BewunderInnen, uns Mischas exklusivsten Besitz: Aufmerksamkeit.
Letztes Jahr habe ich Mischa Barton im Zelt der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin gesehen. Sie rauschte von den meisten Anwesenden unerkannt in einem Look des Labels Marc Cain an mir vorbei, mit großer Sonnenbrille auf der Nase und schwarzem Nietengürtel zum roten Minikleid. Nichts ist schlimmer als ein ausrangiertes It-Girl in einem Kleid von Marc Cain.
Ist ein It-Girl wie ein Modetrend? Über Nacht wie durch Zufall total en vogue, dann omnipräsent in sämtlichen Fußgängerzonen, und wenige Saisons später abgeschoben und ersetzt durch einen neuen Hype, um den die öffentliche Aufmerksamkeit dann mit maximalem Eifer kreist? Was ist die Halbwertszeit eines It-Girls? Zwei Saisons? Vier? Zehn? Kann man als It-Girl alt werden?
Die Serie „Keeping Up With The Kardashians“ läuft schon seit 2007, angelaufen mit gutem Rückenwind dank eines wie zufällig geleakten Sex-Videos von Kim Kardashian. Nicht, dass ich seit 2007 Fan der Kardashians wäre. Tatsächlich beschäftige ich mich in dieser Minute zum ersten Mal mit dem kalifornischen Clan, weltberühmt geworden dank kollektiven Aufmerksamkeitsdefizits und neuerdings auch in Modekreisen gern gesehen. Im LOVE Magazine, einem der renommiertesten Blätter der Modewelt, werden nun gleich drei der Kardashian-Sprösslinge porträtiert: Kim, Kendall und Kylie. Auf dem Cover kuschelt Kendall mit Cara Delevingne. It-Nervensägen unter sich, könnte man sagen – aber alle in einem hochwertigen Modemagazin versammelt, eingekleidet von Katie Grand.
Wie konnte es soweit kommen?
Ist ein It-Girl eine Stilikone?
Laut Klatschpresse soll sich gerade (wieder einmal) ein Streit zwischen Kim Kardashian und Halbschwester Kendall Jenner entfacht haben. Aus der Grazia wissen wir, dass der 16 Jahre jüngeren Kendall aktuell entschieden mehr Medienaufmerksamkeit zuteil wird. Momentan ist sie auf sämtlichen Premium-Magazincovern der Modewelt zu sehen: LOVE, Dazed & Confused, Garage, Teen Vogue, Marie Claire, ein Vogue-Titel soll im Gespräch sein. Kendall ist längst nicht mehr bloß Vorabendfernsehstar mit gelacktem Boyfriend (Harry Styles hat sie abserviert). Neulich postete sie auf Instagram ein Foto aus Karl Lagerfelds Wohnzimmer. Kendall Jenner hat den Sprung vom Fremdschämformat Reality-TV auf die feinsten Laufstege der Modewelt geschafft.
So oft und ölig sich Kim auch aus sämtlichen Perspektiven nackt fotografieren lässt – Kendall ist vorläufig mehr It-Girl als Kim. Offenkundig hat sie einfach mehr „gewisses Etwas“ vorzuweisen, auch wenn Frau Kardashian-West wiederum mit beeindruckenderem Hinterbau ausgestattet ist. Bis heute sind sich die Käseblätter allerdings nicht ganz einig, ob es sich bei Kims Pobacken um Originale oder Implantate handelt. Auch das ist eine Eigenschaft des It-Girls: um dauerhaft im Gespräch zu bleiben, muss ein letzter Hauch von Mythos und Geheimnis garantiert sein. Zur Not wird schamlos gelogen.
Nachdem ich alle drei Kardashian-Porträts im LOVE Magazine gelesen habe, bin ich neugierig. Es scheint unvermeidlich: ich muss eine Folge von „Keeping Up With The Kardashians“ sehen. Bei dieser Familie handelt es sich offenkundig um ein richtiges Bündel von It-Girls. Sogar Khloè war neulich auf dem Cover der Cosmopolitan! Um herauszufinden, was ein It-Girl ist, kommt man um die Kardashians heutzutage nicht mehr herum. Ich schaue mir also eine Episode der siebten Staffel an. Drei kurvige junge Frauen in Latexleggins balgen sich auf schwarz-weißem Marmorboden. Kim Kardashian hüpft im weißen Bodycon-Dress auf dem Trampolin. Kris Jenner, Häuptling des Clans, nimmt einen Drink an der Hausbar. Kim und Kourtney gehen zu einem Pole-Dancing-Kurs. Kris will auch mitkommen, aber Kim sagt: „Mom, you’re too old for this. You’re embarassing.“ Kris wird vor einer Marmorwand interviewt: „For me, age is just a number.“
Wir sehen: um It-Girl zu werden, muss man keine bahnbrechenden Weisheiten von sich geben, einen Nobelpreis gewinnen oder das Gesamtwerk von Shakespeare gelesen haben. Wahrscheinlich sind derartige Errungenschaften auf dem Weg zum It-Girl-Olymp sogar hinderlich, weil zu elitär. It-Girls sind deshalb It, weil sich eine besonders breite Masse an Fans mit ihrem Lebensstil (oder viel mehr dem Traum davon) identifizieren kann.
Sind It-Girls vulgär?
Besonderen Stil – im Sinne von Kultiviertheit, Eleganz, Manieren, Intellekt – beweisen sie jedenfalls nicht. Und von überirdischer Schönheit sind sie auch nicht. Cara Delevingne ist hübsch, Kendall Jenner sexy, und Kim Kardashian hat ein anmutiges Gesicht. Aber besonders aufregend sieht keine von ihnen aus, was wohl auch daran liegt, dass sie in der Regel nur mit sehr viel Make-Up im Gesicht anzutreffen sind. Gewisses Etwas? Nun ja.
Vielleicht besteht darin der unerklärliche Mythos des It-Girls: es ist weder besonders schön noch besonders originell. Aber das It-Girl ist schlau. Es war zur rechten Zeit am rechten Ort, es weiß, wie man sich selbst vermarktet und die maximale Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich lenkt, selbst wenn man eigentlich nicht groß was zu sagen hat, sondern in erster Linie Spaß haben und begehrt sein will. In der permanenten Gier nach Beachtung wurzelt schließlich das Kerngeschäft des It-Girls, deshalb hat Kendall Jenner 20 Millionen Instagram-Fans: nicht, weil diese 20 Millionen alle gerne die Persönlichkeit einer Kendall Jenner hätten. Sondern weil sie nach der Anerkennung dürsten, die ihr zuteil wird. Sind wir nicht alle ein Haufen Narzissten? Haben wir nicht alle früher das coolste Mädchen auf dem Pausenhof um seinen Status beneidet? Wollen wir nicht alle geliebt werden? Wollen wir nicht alle It-Girls sein? Das ist das It im It-Girl: Eigentlich ist dieses Mädchen eine von uns.