Eingraben und Abschalten

VON KINDERN LERNEN: WIE MAN RICHTIG URLAUB MACHT


In diesem Sommer wird ein verloren geglaubtes Relikt urtümlicher Strandbeschäftigungen seine Wiedergeburt erleben: das gegenseitige Im-Sand-Einbuddeln. Schuld ist Valentino. Das italienische Modehaus zeigt in seiner aktuellen Werbekampagne drei zwischen Seesternen im Sand eingegrabene Grazien. Sie tun nichts, außer in die Gegend zu schauen. Wir haben es hier mit einer Art kollektivem Geheimem Single-Verhalten (GSV) zu tun, einer Ferien-Variante der Gruppentherapie.  Für die Anzeige einer Luxusfirma mag solch ein Anblick originell sein. Aber wer hat’s erfunden?

Oben im Bild sehen wir Clairette (links) in Gesellschaft von Cousine und Schwester beim Badeurlaub im Libanon im Jahr 1997, 18 Jahre vor Valentinos Sommer-Reklame. Wie alle Kinder nutzten wir das Ferienrevier Strand damals nicht zum Sonnenbräunen und Bücherlesen, sondern um dort Aktivitäten von größtmöglicher Sinnlosigkeit nachzugehen. Kinder am Strand sind ein Phänomen für sich: sie bauen Sandburgen mit komplizierten Kanälen, die anschließend vom Meerwasser überflutet werden. Sie backen Kuchen aus Sand, die keiner essen will. Sie buddeln sich gegenseitig im Sand ein, um danach in absoluter Immobilität den anderen Strandbesuchern beim Frisbee-Spielen zuschauen und darauf warten zu müssen, dass sich einer erbarmt, sie wieder auszugraben.

Warum tun Kinder so etwas? Weil Kinder nicht nachdenken, was auch der Grund dafür ist, dass sie Sand in ihre Limonade kippen, über die Straße laufen, ohne nach links und rechts zu schauen, oder den Autoschlüssel im Garten vergraben. Ich habe als Kind mal alle meine Puppenhaus-Möbel aus dem Fenster im ersten Stock geworfen. Ich weiß gar nicht mehr, wieso, vielleicht wollte ich sehen, wie robust sie sind. Wahrscheinlicher ist, dass ich einfach nicht darüber nachgedacht habe.

Oben: Clairette (links) und Alinette am Strand, 1995. Unten: Valentino-Kampagne Sommer 2015

Weil Kinder nicht über Konsequenzen nachdenken, sind sie einerseits die am meisten gefährdeten und andererseits die am nachhaltigsten entspannten Mitglieder unserer Gesellschaft. Deshalb sind Kinder auch Experten darin, wie man das Beste aus seinem Urlaub herausholt. Daran will uns die Kampagne von Valentino erinnern: an den grenzenlosen Luxus der Gedankenlosigkeit. Nur wer aufhört, Pläne für sinnvolle Freizeitnutzung zu schmieden, hat den Sinn der Freizeit wirklich erkannt. Ich werde in diesem Sommer am Strand mal wieder eine richtig schöne Sandburg bauen und mich anschließend von meinen Miturlaubern im Sand eingraben lassen. Ich werde die absolute Sinnlosigkeit dieser Aktivitäten genießen und mich an der Erkenntnis erfreuen, dass wir Erwachsenen am Ende – glücklicherweise! – auch nichts weiter sind als Kinder mit Bankkonto und Führerschein.

Oben: Clairette (links) und Alinette am Strand, 1995. Unten: Valentino-Kampagne Sommer 2015