Das sieht aber gut aus

DAS PROBLEM MIT DEN FOODTRENDS

Neulich in der U-Bahn. Ein Mann ist mit fünf kleinen Kindern unterwegs, vielleicht ein Kindergärtner, vielleicht hingebungsvoller Familienvater. Aus einem großen Rucksack holt er eine in speckiges Butterbrotpapier eingewickelte Stulle hervor. „Mit Quark“, sagt er und reicht es einem der Kleinen. Der Junge hat kaum den ersten Bissen heruntergeschluckt, schon brüllen alle anderen los: „Ich will auch!“ Papa wird umzingelt wie ein Zuckerstück von einem Ameisentrupp. Er holt ein weiteres Brot aus dem Rucksack. „Mit Käse?“ sagt er und hält es einem der Schreihälse hin. Der schüttelt trotzig den Kopf. „Mit Käse?“ fragt er das nächste Kind, aber auch das sagt natürlich Nein. Der erste Junge hatte keinen Käsebelag, sondern Quark auf seinem Brot. Was er hat, wollen jetzt alle, was er ablehnt, schmeckt keinem. So entstehen also Foodtrends.

Jeder kennt eine ähnliche Situation auch aus dem Erwachsenenalltag. Man sitzt im Restaurant, das Essen kommt. Man selbst hat Ravioli bestellt, während der Mensch gegenüber Rigatoni mit Salsiccia und wildem Brokkoli serviert bekommt. So ein Mist, denkt man demotiviert auf seinen Ravioli herumkauend, während der andere von dieser fantastischen Fenchelwurst schwärmt, das hätte ich auch bestellen sollen. Das sehnsüchtige Spähen auf anderer Leute Teller nennen wir dann Futterneid, selbst wenn dieser Begriff laut Wikipedia eigentlich aus der Welt der Tiere kommt und etwas ganz anderes bedeutet: nämlich „ein Konkurrenzverhalten, das bei vielen in Gruppen lebenden Wirbeltieren zu beobachten ist, wenn sie Nahrung gegen Konkurrenten ihrer Art verteidigen oder beim Fressen Nahrungskonkurrenten auf Distanz halten.“ Naja, passt ja auch irgendwie. Auf die Frage „Darf ich mal probieren?“ wird der Mensch mit Salsiccia-Pasta nämlich garantiert genüsslich grinsen und Nein sagen.

Foodtrends entstehen einerseits durch Rudeltierverhalten, andererseits durch Knappheit. Das Kind will ein Brot mit Käse, weil das andere auch eins mit Käse hat. Ich will die Pasta mit Salsiccia, weil ich sie selbst nicht habe. Dieser Mechanismus erklärt, warum exotisches Essen besonders gefährdet ist, zum Foodtrend zu werden: Quinoa, Avocado, Fetakäse, sie alle stammen ursprünglich aus der Ferne, nicht aus dem regionalen Umland. Man hat sie mal im Urlaub bei den Einheimischen auf dem Teller gesehen und dann schwärmend mit nach Hause gebracht. Der amerikanische Hype um Kale hat es höchstwahrscheinlich nur deshalb nicht zu uns nach Deutschland geschafft, weil Grünkohl ein urdeutsches Gericht ist. Ihm fehlt das Flair des Weitgereisten, des Exklusiven. Der Burger wurde modern, weil er aus den fernen USA kommt – jedenfalls behaupten das die Amerikaner. Einige Leute in meiner Heimatstadt Hamburg vertreten dagegen die These, der Hamburger heiße genau wie seine Heimat, wo man das Fleisch im Brötchen Hamburger Rundstück nennt. Würde der Burger heute in jedem Szenebezirk gegessen, wenn er aus Norddeutschland käme? Ich habe da meine Zweifel.

Quelle: @thewholetara

Wir lernen: der Mensch sucht nach seltenen Dingen, um deren Knappheit anschließend auszurotten und sie für jedermann zugänglich zu machen. Was vorher so exklusiv war, dass man es nirgends auftreiben konnte, gibt es dann plötzlich in jedem Kühlregal. Gleiches Schicksal erfuhr auch eine der aktuell beliebtesten Modespeisen: Hummus.

Hummus ist ein orientalisches Gericht. Im Libanon, wo meine Mutter herkommt, ist Hummus kein Food- oder gar Gesundheitstrend, sondern in jedem Kühlschrank so selbstverständlich vorhanden wie anderswo Butter oder Ketchup. Wahrscheinlich hat es irgendwann mal ein einflussreicher Chefkoch in Beirut entdeckt und dann in einem Anflug von Futterneid in sein New Yorker Szenerestaurant importiert. Vielleicht waren es die arabischen Einwanderer selbst – gegen die habe ich natürlich nichts, denn in deren Lokalen bekommt man noch das echte Hummus serviert. Denkbar ist auch, dass Hummus so populär wurde, weil es einfach verdammt gut schmeckt, und zwar Veganern und Fleischfressern gleichermaßen. Nun ist es in Europa und Amerika angekommen, noch nicht in den Tante-Emma-Läden, aber garantiert in jedem Supermarkt. In New York stand ich entsetzt vor dem drei Meter langen Hummus-Regal bei Whole Foods: dort gab es Hummus in Geschmacksrichtungen wie Zesty Spice & Garlic, Spicy Red Pepper, Mediterranean Style, Roasted Garlic, Sweet Roasted Red Peppers, Spicy Chipotle, Forty Spices, Cracked Chilly Peppers, Mediterranean Olive, Everything Hummus, Lemon Rosemary Foccacia. Bei Edeka stand neulich ein Pärchen vor mir an der Kasse, er legte die Waren auf das Band, sie sagte. „Ich hole noch Humus.“ Aber Humus, das ist doch was ganz anderes.

Als Mensch mit libanesischen Wurzeln betrachte ich den globalen Aufstieg des Kichererbsenpürees in etwa so euphorisch wie ein Gentrifizierungsgegner den Einzug der Hipster in seinem Wohngebiet. Überall ist heute von Hummus die Rede, obgleich es sich längst nicht bei jedem Brei aus Kichererbsen um Hummus handelt. Einen ähnlichen Verfall hat fast jedes eingewanderte Gericht erleben müssen: in jedem Rewe gibt es mittlerweile diese pappigen Reisrollen mit angetrocknetem Lachs zu kaufen, ausgeschildert als Sushi. Dr. Oetker trieb die Schändung der italienischen Pizza jüngst mit der Lancierung eines sogenannten Pizzaburgers auf die Spitze. Und das arme Wiener Schnitzel kann man heutzutage auch im Toaster aufwärmen. In der Modewelt läuft es ähnlich: ein einstiges Nischenprodukt wie die Birkenstocksandale, geliebt und geschätzt von Nischenmitgliedern unserer Gesellschaft, wird bei Céline als It-Schuh auf den Laufsteg gebracht. Bald tragen alle Moderedakteurinnen Birkenstocks, dann alle Mitte-Muttis, dann bringt Zara ein Birkenstock-Replikat für 29,99 € heraus, und schon ist die Sandale kein schrulliger Gesundheitsschuh mehr, sondern eine in Bangladesh zusammengeklebte Gummisohle unter Lacklederriemen.

Women’s Health empfiehlt ein „Erdnussbutter-Spinat-Hummus“. Andere schmeißen so viel Knoblauch und Zwiebeln in die Paste, dass man nach deren Verzehr drei Tage lang nicht vor die Tür gehen kann. So ist das, wenn sich plötzlich alle Hummus-Experten nennen, obwohl sie noch nie echtes libanesisches oder israelisches Hummus gegessen haben, sondern immer nur dessen europäische Modevariante. Man merkt, wenn es um Hummus geht, werde ich ein bisschen faschistisch. Mir gehen leider auch immer so schnell die Argumente gegen den Hummus-Trend aus, ist doch eigentlich schön, dass heutzutage alle Leute Zugang zu etwas so Leckerem haben. Aber wird hier nicht andererseits der Schutz von kulinarischen Kulturgütern der allzugänglichen Massentauglichkeit geopfert? Plötzlich dürfen alle mit Hummus machen, was sie wollen. Ich vermisse die Exklusivität, die Dinge wie Sushi und Hummus genossen, bevor sie zu Foodtrends wurden. Auch darüber, was echtes Tabouleh eigentlich ist, muss ich mich neuerdings mit meinen Freundinnen streiten – „Salat aus Petersilie und Bulgur“ sage ich, „Blödsinn, das ist doch wie Couscous“, sagen sie, nur weil es in irgendeinem Cafe in München-Schwabing so auf der Karte stand. Je beliebter eine bestimmte Speise wird, desto mehr wird sie durch den Dreck gezogen. Am Ende schmeckt sie gar nicht mehr. Das ist das Problem mit den Foodtrends.

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