Freiwillig am Boden

BITCH I'M MADONNA: VON DER KUNST DER SELBSTENTLARVUNG

MadonnaMadonna hat einen neuen Song herausgebracht, er heißt „Bitch I’m Madonna“. Der Sound ist nicht neu, auch das Video glaubt man auf den ersten Blick irgendwie schon gesehen zu haben. Wie man es von Madonna kennt, wird auch hier wieder viel geturnt, getanzt und geturtelt. Unmöglich angezogen ist sie ebenfalls. Aber man sollte genau hinschauen.

Bei mehrmaliger Betrachtung bekommt man den Eindruck, Madonna wolle diesmal tatsächlich mehr als nur provozieren oder ihre Abscheu vorm körperlichen Verfall zum Ausdruck bringen. Während sie Seile mit Gewichten stemmt, zicken vier kleine Mädchen in weißen Tüllröcken, mit Schleifen im Haar und Kruzifixen am Hals You can’t touch this“ in die Kamera, sie sehen aus wie Mini-Madonnen, ihre Kleidung eine Kreuzung aus „Like a Virgin“, „Like a Prayer“ und Madonnas Outfit bei den MTV Music Awards 1984. Deren aktueller Look ist so, wie man es von ihr erwartet: derart geschmacklos, dass es wieder überraschend wirkt. Trash ist bei Madonna Bestandteil des künstlerischen Konzepts. Vielleicht kann man es sogar Konzeptkunst nennen, was Madonna da macht. Schon im Jahr 2000, als ihr Album „Music“ herauskam, erklärte DIE ZEIT ihre Berühmtheit zur Kunstform. Auch heute weiß Madonna dafür zu sorgen, dass außer ihr ja kein anderer im Mittelpunkt steht. Sie sieht aus wie die Luxus-Version der Proleten-Omi aus Marzahn, die es nochmal wissen will: Leopardenkleid, pinkfarbene Nietenjacke, „Threat“-Käppi, gefärbte Haarspitzen. Ein desperater Versuch, die Restbestände der körperlichen Frische mit allerlei kosmetischen Mitteln zu überzeichnen? Keineswegs. Ein ganz anderer Verdacht drängt sich auf: das kann die doch unmöglich ernst meinen.
madonna-video-bitch-Im-madonna-1Wie ein schlechter Abklatsch aktueller Jugendkultur wirkt das Video jedenfalls nicht. Viel mehr scheint sich hinter den vielen Rückbezügen auf Madonnas Vergangenheit eine saftige Dosis Ironie zu verstecken. Der Auftritt der kleinen Katholikinnen, das willenlose Herumgeknutsche mit Männern und Frauen gleichermaßen, das irre Herumgehopse und Gestolpere, der Sex, der Alkohol, und das alles im Kreis der coolen Freunde – Madonna ist vielleicht älter geworden, aber groß verändert hat sie sich nicht. War ja auch so schön früher!

Doch genau darüber empören sich die Kritiker immer wieder allzu gerne. Die Gute habe ihren Zenit längst überschritten, schreiben sie, es sei an der Zeit, die Miniröcke einzumotten, Mitglied einer wohltätigen Organisation zu werden und eine Autobiografie zu schreiben, oder einen Ernährungsratgeber. Madonna wird beschuldigt, das Älterwerden mit geradezu krankhafter Verbissenheit bekämpfen zu wollen. Täglich wird im Fitnessstudio geturnt und der Bizeps gestählt, was die 56-Jährige immer noch toll aussehen lässt, wenn auch nicht mehr ganz so toll wie anno 1986, als sie im schwarzen Bustier-Einteiler in „Papa Don’t Preach“herumhüpfte. Madonna bleibt eine Künstlerin der Perfektion, ihre Musik, ihre Videos, ihre Outfits sind genauso perfekter Pop wie vor 20 Jahren. Bloß ist Perfektion etwas, das heutzutage nur noch echt Jugendlichen erlaubt ist. Alle anderen sollen gefälligst aus dem Scheinwerferlicht treten, sich mit ihren Falten zufrieden geben und was Ordentliches überziehen. Jugend gilt als Ideal, Jugendlichkeit im Alter nicht. Das ist das Problem, dass die Leute mit Madonna haben.
madonna-video-bitch-Im-madonna-2Aber Madonna wäre nicht Madonna, wenn sie aus all dem Geschwätz keinen Profit schlagen würde. Je öfter man das neue Video anschaut, desto mehr bekommt man den Eindruck, Madonna wolle hier tatsächlich weder krampfhaft provozieren noch ihre bröckelnde Macht gegenüber weitaus strafferen Konkurrentinnen wie Taylor Swift oder Rihanna verteidigen – sondern einfach nur sich selbst verarschen, sich mitsamt ihrer Nostalgie und Angst vor dem Alter selbst entlarven. Und wenn die goldenen Zeiten vorbei sind und Madonna nicht mehr so frisch und unschuldig aussieht wie damals in „Like a Virgin“ – wen kümmert das? „I just wanna go up tonight“, schreit sie, ihre Version von „Lasst mir doch meinen Spaß, verdammt nochmal!“ Der Witz beginnt schon beim Titel „Bitch, I’m Madonna“, vielfach wiederholt und mit Nachdruck betont von Haupt- und Nebendarstellern, steigert sich mit den im Schwarzlicht tanzenden Sockenpuppen und gipfelt in Madonnas Attacke auf Männermodel Jon Kortajarena, dem sie überfallartig den Drink in den Rachen kippt. Es ist das vielleicht drolligste Video, das Madonna in ihrer Geschichte als Popmusikerin je hervorgebracht hat.
madonna-video-bitch-Im-madonna-4Während in Taylor Swifts neuestem Action-Erotik-Thrillervideo „Bad Blood“ jeder Schritt und Tritt sitzt, turnt Madona wie beschwipst durch die Flure, stolpert nicht selten, liegt am Ende keuchend auf dem Boden, das Herz ist trotz strengen Trainings schließlich auch nicht mehr so fit wie dereinst. Trotz allem sieht Madonna aber nicht so aus, als würde sie sich nicht mindestens königlich amüsieren. Außerdem hat sie sich für ihre Party ja die jungen Leute nach Hause eingeladen: Kanye West und Beyonce, Miley Cyrus, Katy Perry, Alexander Wang, Nicki Minaj. Die Königin war schon immer von einem exklusiven Hofstaat mächtiger Freunde umgeben, sie kam immer in jeden Club rein, das war schon vor 15 Jahren so, als sie in„Music“ diesen total abgefahrenen metallbeschlagenen Cowboyhut trug und mit der Crew in der goldenen Stretch-Limo durch die Stadt cruiste, Champagner saufend. Für wen hält die sich?, mögen die Hater dazu fragen. Eine Empörung, hinter der am Ende nicht mehr als Neid und damit auch Bewunderung steckt. „Who do you think you are?“ äfft Madonna ihre Kritiker nach, um die Frage im gleichen Atemzug zu beantworten: „Bitch, I’m Madonna!“ Und alle singen mit.
madonna-video-bitch-Im-madonna-3„Bitch I’m Madonna“, das ist die Popversion von Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.Die Botschaft: Schon klar, ich bin nicht mehr 20. Aber schaut mal: so viel Spaß kann man mit 56 haben! Madonna lacht über sich selbst, sie wirft sich freiwillig zu Boden, und so viel Größe muss man sich erstmal erarbeiten. Die Kunst der Selbstentlarvung scheint etwas zu sein, das man erst mit zunehmendem Alter lernt – und das wir uns alle von Madonna abschauen sollten. Denn höchstwahrscheinlich ist es die einzige Möglichkeit, seine Skeptiker ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen.