Musikrubrik #38: Alte Bekannte

DISCLOSURE SIND ZURÜCK!

dsc-640x470Disclosure sind für mich fast schon so etwas wie eine Jugenderinnerung. Was totaler Blödsinn ist, weil die Durchbruchssingle der beiden Brüder, Latch, erst vor drei Jahren erschien. Damals war ich 18, jetzt bin ich 21 und damit immer noch ein Gänseblümchen ohne Lebenserfahrung. Trotzdem: seitdem ich vor drei Jahren, am 1. Oktober 2012, nach Berlin gezogen bin, ist viel passiert. Ich habe an der Universität Mittelhochdeutsch gelernt und Arthur Schnitzler gelesen, ich habe meine erste Wohnung gemietet, ich habe nachts um 3 vorm Kater Holzig Currywurst gegessen und in der Feinkostabteilung des KadeWe Himbeeren geklaut, ich war unzählige Mal in der Wilden Renate tanzen, ich habe in der Bar Melody Nelson mit Daniel Brühl einen Drink eingenommen, ich war auf Schwulenparties in Schöneberg, Engtanzparties in Kreuzberg, Dachparties am Potsdamer Platz, VOGUE-Parties im Borchardt und Küchenparties in Friedrichshain.

Ich habe in Kellergewölben auf der Sonnenallee getanzt und zuhause auf dem Küchentisch, nachdem ich die Zusage für das Auslandssemester in New York erhalten hatte. Ich habe dreihundert Blogartikel geschrieben, war in fünfundzwanzig Kunstgalerien und habe endlich meinen Lieblingsitaliener gefunden. Ich habe mich mit der schnippischen Kassiererin beim Kiezmarkt angefreundet, ich bin Stammgast im Café vor meiner Haustür, und am Wochenende flaniere ich durch Charlottenburg, trinke Kaffee auf dem Trottoir und lese die Zeitung.

Drei Jahre sind schon eine lange Zeit. Dass ich mal zur Schule gegangen bin, muss in einem anderen Leben passiert sein. Drei Jahre in einer anderen Stadt machen dich nicht zu einem anderen Menschen. Aber drei Jahre sind eine lange Reise mit immer wieder fremden Zielen und Ankunftsorten. Da ist es schön, Musik dabei zu haben, die einen zwischendurch daran erinnert, wer und wo man schon mal gewesen ist. Ich habe in drei Jahren in Berlin oft meinen Musikgeschmack gewechselt. Nur Disclosure blieb ich treu. Disclosure sind für mich, was die Bee Gees für meine Mutter sind: gute alte Bekannte. Wenn wir zusammen Auto fahren, Maman und ich, und im Radio kommt „How deep is your love?“, setzt sie sofort ihre Wenn-ich-doch-wieder-17-wär-Miene auf, singt laut und schief mit und schwärmt von den besten Jahren ihres Lebens.

Ich bin noch nicht 52, aber ich kann schon verstehen, was meine Mutter meint. „What’s in your head“, der erste Superhit von Dicslosure, erinnert mich an die beste Poolparty meines Lebens im August 2012, am Elbstrand mit Blick auf den Hafen, die vorbeiziehenden Schiffe und die untergehende Spätsommersonne. Zwei Monate später in Berlin, als mir die Stadt noch fremd, groß und kalt vorkam, waren Disclosure eine tröstende Erinnerung an jene herrliche Sorglosigkeit der ersten Wochen nach dem Abitur, kurz bevor der Ernst des Lebens begann. Wenn ich nachts am Kottbusser Tor auf die U-Bahn wartete und der Herbstwind das Bahngleis hinunterpfiff, hielten mich Latch oder Boiling warm.

Jetzt ist das neue Album Caracal von Disclosure erschienen. Als ich vor zwei Jahren auf dem Konzert des DJ-Duos in Hamburg war, war einer der beiden Brüder noch minderjährig, um Mitternacht war die Party vorbei. Aber so, wie ich seitdem ein bisschen erwachsener geworden bin, hat sich auch die Musik von Disclosure weiterentwickelt. Disclosure machen Tanzmusik für Leute, die zum Tanzen nicht unbedingt vor die Tür gehen.Um Disclosure zu hören, muss man nicht auf Drogen sein. Harten Techno haben die beiden nie gespielt, zwischen den elektrisierenden, schnellen Beats waren immer schon harmonische, oft mitreißend schöne Melodien zu erkennen. Disclosure machen munter, wenn man morgens früh ins Büro geht, und glücklich, wenn man abends durch die dunklen Straßen nach Hause läuft.

Und obwohl jeder Song des neuen Albums anders und auf seine Art und Weise großartig ist, klingt doch immer der altbekannte Disclosure-Sound durch, dieses Dynamische, Elektrisierende, Euphorische, Soulige. Dazu singen Popgrößen wie Sam Smith oder The Weeknd. Manchmal erinnern ihre glockenhellen Stimmen an Michael Jackson oder Wham!. Vielleicht ist Disclosure sowas wie der Soundtrack für alternde Jugendliche. Für Leute wie mich, die nicht mehr so cool wie ein Zwölftklässler sind, aber gerne an das Gefühl dieser Zeit zurückdenken. Eine Jugenderinnerung.

Das ganze Album auf Spotify anhören! Die Favoriten: „Nocturnal“,“Omen“, „Superego“, „Good Intentions“.
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