Weihnachten

ÜBER NÄCHSTENLIEBE, SELBSTLIEBE UND EIGENNUTZGESCHENKE

tumblr_na7khpJqBk1qafi93o1_500[2]Es gibt diese weit verbreitete, aber irgendwie problematische Weisheit, man solle immer das verschenken, was man selbst gerne hätte. Nimmt man den Satz wörtlich, müsste man also seiner Schwester die goldenen Gucci-Sandaletten schenken, von denen man seit Monaten träumt, seinen Eltern ein Abendessen im 2-Sterne-Restaurant, und seinem Freund einen sehr flauschigen Bademantel. Erst dann sei man eine gute Schenkerin. Die Frage ist bloß: warum etwas verschenken, wenn man es doch ebenso gut selbst behalten könnte?

Weihnachten ist bekanntlich das Fest der Liebe, vor allem der Nächstenliebe. Das vergessen Kinder und Kindgebliebene gelegentlich, wenn sie ihren Angehörigen seitenlange Wunschlisten schicken, nur um ganz unten, im Kleingedruckten der Emailnachricht, „Und was wünschst Du Dir?“ zu fragen. Dass wir nicht nur für unser Privatvergnügen, sondern auch zum Wohle anderer auf der Welt sind, geht im Alltag ja schnell mal unter. Weihnachten soll daran erinnern – und stellt uns bei der Wahl der Geschenke für die Angehörigen auf die Probe.

Das Dilemma speist sich aus der Angst, als schlechter, weil ideenloser Schenker dazustehen (die Top 5 der uninspiriertesten Geschenke: Duftkerzen, Badezusätze, Kochbücher, Bildbände über irgendwas, Gutscheine, von denen man vorher weiß, dass sie nie eingelöst werden), und dem Ringen mit sich selbst, welche Opfer man beim Verschenken zu bringen bereit ist. Es geht bei diesem Luxusproblem also mal wieder nur um einen selbst. Die Kunst besteht darin, ein „persönliches“ Geschenk zu machen, das dem Geschenke-Kodex entsprechend so aussieht, als fände man es selbst so schön, dass man es am liebsten behalten würde, und sich nun aber in einem Akt weihnachtlicher Selbstlosigkeit dazu entschlossen hätte, es einem Nächsten zu überlassen. Als Vorbild dieses Ideals ist die Legende vom heiligen Sankt Martin in den Kanon der Weihnachtsgeschichten eingegangen, aber dass es sich beim heiligen Sankt Martin höchstwahrscheinlich um ein Fabelwesen handeln muss, weiß jedes Kind, schließlich kämpft hier unten auf der Erde jeder ums eigene Überleben, und da überlegt man sich echt dreimal, ob man bei Minus 5 Grad seinen Umhang teilt. Oder den flauschigen Bademantel verschenkt, wo man ihn doch ebenso gut selbst behalten könnte.

Für das Luxusproblem „Geschenke, die man sich lieber selbst schenken würde“ hat die Menschheit das sogenannte Eigennutzgeschenk erfunden. Einmal schenkte meine Mutter meinem Vater einen Videorekorder. Dieser Videorekorder sollte im Wohnzimmer stehen und, so hatte meine Mutter sich das vorgestellt, offiziell nach einem total gönnerhaften Präsent aussehen, inoffiziell aber vor allem von ihr selbst benutzt werden. Bis auf den kleinen, nicht unerheblichen Einwand, dass mein Vater keine Videos schaut, war die Aktion eigentlich ganz schlau durchdacht.

Ein Eigennutzgeschenk gehört geschickt verpackt, nämlich ohne sichtbaren Eigennutz. Irgendwann im Februar kann man sich dann mal klammheimlich an den Schrank des Freundes schleichen und den blauen Kaschmir-Pullover ausleihen, den man ihm an Weihnachten unter dem Vorwand innigster Nächstenliebe unter den Weihnachtsbaum legte.

Natürlich gelten Eigennutzgeschenke als total verpönt, was aber totaler Unsinn ist, weil schließlich jedes Geschenk in gewisser Weise ein Eigennutzgeschenk ist. Das merkt man daran, dass Verschenken, trotz des finanziellen Opfers, das man dafür bringen muss, ja irgendwie doch auch Spaß macht, was wiederum daran liegt, dass man sich dabei selbst so samaritermäßig toll und fürsorglich und nett fühlen darf. Man schenkt also für das eigene Wohlbefinden. Vielleicht ist Weihnachten doch vor allem ein Fest der Selbstliebe.