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Es ist eine Szene des Grauens: Die Geheimagentin hat Sex mit dem Terroristen, und ihre Kollegen schauen zu. Auf Bildschirmen wird die Ekstase eins zu eins übertragen. Sie ahnt nicht, dass sie bespitzelt wird, ihr Manöver ist Teil der investigativen Recherche. Und obwohl man diese Frau für intelligent und gewitzt hält, ist es unerträglich, ihr gemeinsam mit ihren Geheimdienstkollegen beim Orgasmus zuzuschauen. Man schämt sich, oh Gott, und wie. Für sie.
Die Szene stammt aus Homeland. Sie anzuschauen ist die reinste Folter. Man kann überhaupt nicht hinsehen, man will sich die Haare raufen und schreiend davon rennen, und dabei passiert das alles ja nur auf dem Bildschirm. Das Gefühl heißt Fremdscham, und dabei muss es sich wirklich um eine ganz starke Emotion handeln, denn anders ließe sich nicht erklären, warum sie einen sogar beim Fernsehen überfällt. (Dschungel-Camp-Zuschauer kennen das Problem.)
Auch bei der Oscar-Verleihung am vergangenen Sonntag war ein Fall von Fremdscham zu beobachten. Der Moderator Chris Rock hatte die rassistische Academy, die immer nur weiße Schauspieler für die Awards nominiert, bisher mit ganz gelungenen Späßen adressiert. Aber mit dem Joke, die ultrakonservative Schauspielerin Stacey Dash (bekannt aus Clueless) als Verkünderin des „Black History Month“ (den sie zuvor boykottiert hatte) auf die Bühne zu holen, landete er einen ziemlichen Bauchklatscher. “It is my honor to introduce the new director of our minority outreach program. Please Welcome Miss Stacey Dash!” Stacey Dash sollte ihre eigene Taktlosigkeit verarschen? Sehr witzig. Das Publikum reagierte entsprechend fremdgeschämt.Wer hat eigentlich dieses Fremdschämen erfunden? Mir passiert es in allen Lebenslagen. In dem Büro, in dem ich arbeite, gibt es eine Praktikantin, die in der Konferenz ständig irgendwas kritisiert und dazu was aus dem Geschichtsunterricht zitiert, ohne Grund und Argument, einfach deshalb, weil man sich im Journalismus ja am ehesten durch den Anschein von Differenziertheit hervortut. Jedes Mal, wenn diese Klugscheißerin den Mund aufmacht, um sich zu profilieren, wird mir ganz schwindelig. Ich schaue auf den Boden, aus dem Fenster, auf meine Hände, ich finde es unfassbar peinlich, wie man vor ausgewachsenen Zeitungsleuten einen solchen Blödsinn verbreiten kann. Ein anderer macht immer Vorschläge, die er hochkonzentriert (mit beim Sprechen geschlossenen Augen und langen Pausen, in denen er sich „sammelt“) ausbreitet, während die anderen im Raum unruhig werden, weil sie eigentlich gerade alle was Besseres zu tun haben, als seiner Predigt zu lauschen. Und ich? Ich schäme mich. Für ihn.
Ich weiß nicht, warum das so ist, warum ich mich für jemanden schäme, wo der das doch ebenso gut selbst tun könnte. Aber ich habe einen Verdacht. Ich glaube, dass in der Stellvertreterscham die Angst steckt, einmal selbst in der Situation desjenigen zu sein, für den man sich gerade schämt. Man sieht es schon kommen: Die nächste, die in der Konferenz etwas Idiotisches sagt, bin ich. Das Fremdschämen ist quasi die Generalprobe für den Eintritt des persönlichen worst case scenarios. Ich bin ganz groß im Imaginieren von worst case Szenarien, sie gruseln mich tierisch, was auch daran liegt, dass sich das ein oder andere Szenario tatsächlich schon mal bewahrheitet hat. Einmal war ich zum Beispiel auf einer tollen Party in einer Hotelbar eingeladen, wo ich niemanden kannte und alle Leute sehr schick, mondän und wichtig aussahen. Ich trug hohe Schuhe. Als ich die Bar betrat, dachte ich noch für einen Moment, wie peinlich es jetzt wäre, auf meinen hohen Schuhen umzuknicken. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, da war plötzlich eine Stufe, und schon segelte ich in schönster Horizontale in den Raum. Ein Raunen ging durch die Menge. Scherz! Aber das mit der Bruchlandung stimmt wirklich. Und es war nicht schön.
Wir sehen: Mit dem Schämen für die eigene Person hat man so schon alle Hände voll zu tun. Wenn man in eine tolle Party hineinfliegt, wenn man vor seinem Freund furzt, wenn man sich auf offener Straße mit seiner Mutter streitet, wenn man die Email für die beste Freundin aus Versehen an den Chef schickt, wenn man mit Bikini in den Pool springt und ohne wieder heraus kommt. Aber was soll man machen: Shit happens! Wahrscheinlich hätten wir alle ein entspannteres Leben, wenn wir die Scham einfach abschaffen würde. Vielleicht wäre die Welt dann weniger zivilisiert und im Großen und Ganzen versauter, aber immerhin müssten wir nie wieder in Grund und Boden versinken. Für mich ist dieses ständige In-Grund-und-Boden-versinken ein ziemlich lästiger zeitlicher und emotionaler Aufwand. Nun gut, wir kommen nicht drum herum. Aber die Fremdscham, die gehört abgeschafft, finde ich. Warum soll ich mich für andere schämen? Das können die schon selbst erledigen.