Geschenke

ICH NEHME ALLES! NUR KEINE BÜCHER

tumblr_njvs1lkil71qafi93o1_1280Über Geschenke soll man sich nicht beschweren, denn bei Geschenken geht es um die Verpackung, also die Geste, und nicht den Inhalt. Jedenfalls, wenn man erwachsen ist. Als Kind ist das ganz anders. Da darf man am Geburtstag noch die Krallen ausfahren und ein liebevoll verpacktes Geschenk mit derartiger Gier aufreißen, als leide man unter schwerster Atemnot und nur die im Karton befindliche Sauerstoffmaske könne einen retten. Im Paket befindet sich dann ein neues Skateboard oder eine Jeansjacke, Dinge die, wenn man Kind ist, durchaus auch lebensrettende Maßnahmen versprechen können. Das schönste Geschenk meines Lebens war der Kassettenrekorder, den ich zu meinem vierten Geburtstag geschenkt bekam. Ab jetzt, dachte ich damals, müsste ich nie wieder Geburtstag haben. Ich hatte meinen Seelenfrieden gefunden.

Heutzutage ist Geburtstaghaben nicht mehr so aufregend, was erstens daran liegt, dass sich die Zeitspanne zwischen den Geburtstagen extrem verkürzt hat, jedenfalls fühlt es sich so an, als habe man ständig Geburtstag, womit ab spätestens Mitte 20 auch nicht mehr Freude, sondern die nahende Midlife-Crisis verbunden wird. Zweitens wird man an seinem Geburtstag, hat man die Volljährigkeit überschritten, nicht mehr so auf Händen getragen und mit Liebe überschüttet wie anno 1997. Mein Freund hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich. Seitdem wir zusammen sind, kann ich an meinem Geburtstag nicht mehr einen auf Diva machen. Drittens sind die Geschenke weniger spannend. Erwachsene schenken sich seriöse, im schlimmsten Fall praktische Sachen: Salatschleudern, Biergläser, Bildbände, Kochbücher. Ich meine, schön und gut, aber was ist eine Salatschleuder gegen einen Kassettenrekorder?

Am schlimmsten finde ich aber, Achtung, das Buchgeschenk. Mein armer Freund bekam in diesem Jahr fast nur Bücher. Ich: Sonnenstühle, einen Feigenbaum, eine Hängematte und einen Kühlschrankmagnet. Daraus, was einem die Leute schenken, kann man ja immer gut ablesen, für wen sie einen halten. Ich bin bei meinen Angehörigen offenbar als häuslicher Faulpelz abgespeichert. Soll mir recht sein. Auf jeden Fall haben sie verstanden, dass ich vor 2019 keine neuen Bücher mehr brauche, weil ich sowieso kaum zum Lesen komme. Mein Freund gilt dagegen als die intellektuelle Leseratte. Dieser Mann, denken sich seine Freunde aus unerklärlichem Grund, sitzt garantiert allabendlich mit vor lauter Lesesucht juckendem Hintern im Bett. Endlich mal einer, dem man ein Buch schenken kann!

Die Realität sieht anders aus. Die fünf Bücher, die Monsieur in diesem Jahr geschenkt bekam, landeten auf einem von vielen stetig wachsenden Stapeln unberührter Bücher. „Was soll ich mit den ganzen Büchern?“, maulte er. Mein Freund frisst keine Bücher, nein, langsam fressen die Bücher ihn.

Dabei sollte man sich von einem Buchgeschenk doch eigentlich geschmeichelt fühlen. Denn intellektuelle Leseratte wollen ja heute alle sein. Der Hashtag #bookstagram verzeichnet auf Instagram 662 193 Einträge (zum Vergleich: unter #avocadotoast findet man nur 22 709 Bilder). Beliebt ist unter #bookstagram-Fotografen die beiläufige Draperie des Lesestoffs zwischen verwuschelten Bettlaken, neben Müslischüsseln, Kakteen oder Kaffeetassen, so nach dem Motto: Bücher sind bei mir keine Wandschrankdekoration, sondern im täglichen Gebrauch. Dabei weiß niemand, ob Bookstagrammer Bücher auch wirklich zum Lesen gebrauchen. Denn Lesen ist echt anstrengend. Und weil Anstrengung kein gutes Geburtstagsgeschenk ist, freut sich auch keiner ernsthaft über noch ein Buch.

Seit vier Monaten schmort „Der Zauberberg“ unangetastet auf meinem Nachttisch. Ich bewundere Leute wie meinen Vater, für den der „Zauberberg“ das ist, was „Park Avenue Prinzessinnen“ für mich ist (erholsame Zerstreuung am Abend). Ich würde gerne mehr lesen. Mein Freund würde gerne mehr lesen. Alle Leute würden gerne mehr lesen, so wie alle gerne zeitgenössische Kunst besser verstehen und sich intelligenter über Politik unterhalten würden – auch dies ein Wunschdenken, das sich in den sozialen Medien durch Schnappschüsse vom Kunstgalerie-Besuch und tägliche Facebook-Shares von New-York-Times-Artikeln äußert. Aber weil wir alle nicht perfekt sind und abends, ganz im Geheimen, am liebsten verdreht auf dem Bett liegen und die Kardashians auf Instagram stalken, lesen wir nicht so viel, selbst wenn wir so aussehen. Und wenn wir es doch tun, zum Beispiel im Urlaub oder am Sonntagmorgen, dann höchstwahrscheinlich etwas vom Buchgeschenkestapel von 2013. Also bitte: keine Bücher mehr. Wie wäre es mit etwas Heiterem? Einem 1 Meter hohen Bonbonglas vielleicht, einem Schlauchboot oder doch einer Jahresration Macarons? Nur so als Anregung.

Headerbild: Donna Michelle, Playmate des Jahres 1964, posiert mit ihren Geschenken