Heute morgen fuhr ich Fahrrad und kaute dabei ein Kaugummi. Nach einer Weile schmeckte das Kaugummi nicht mehr, also wollte ich es loswerden. Da kam auch schon ein Mülleimer des Weges. Aber weil ich gerade so schön in Fahrt war, und weil außerdem ein riesiger Doppeldeckerbus bedrohlich nah hinter mir fuhr, wollte ich ungern anhalten. Also nahm ich das Kaugummi in voller Fahrt aus dem Mund, zielte und warf es Richtung Mülleimer. Ging natürlich daneben. „Blöde Fotze!!!“ keifte ein Mann vom Fußgängerweg aus – das ist Berlin, da reden manche Leute so – worüber ich aber trotzdem so erschrak, dass ich erstmal stehen bleiben und mich von dem Schock erholen musste.
Ständig bringt mich meine Faulheit in Bredouille – und sorgt damit für mehr Stress, als ich gehabt hätte, hätte ich mich einfach nur ein bisschen angestrengt. Wenn ich zum Beispiel die Tasse Tee aufs statt neben das Bett stelle, damit ich mich nirgendwo hindrehen muss, um bequem danach greifen zu können, fällt die Teetasse natürlich um. Bettwäsche nass, Matratze hin.
Oder wenn ich tagelang mit einem eiernden Reifen Fahrrad fahre. Irgendwas stimmt da nicht, bei jedem Pedaltritt tönt ein unschönes Schaben unter dem Schutzblech hervor. Ich müsste mal zum Fahrradspezi gehen. Hab ich jetzt aber keinen Bock drauf, am Ende muss das Fahrrad da bleiben und ich zu Fuß nach Hause gehen. Nein, danke. Eines schönen Morgens fällt mir dann auf, dass da eine Schraube fehlt – und der Reifen kurz davor ist, vom Rahmen zu fallen. Der Fahrradspezi diagnostiziert einen mittelgroßen Schaden, weil durch die ständige Reibung auch der Dynamo entkoppelt und der Reifen abgenutzt ist. Reparaturkosten: 45 Euro. Dauer: 3 Tage.
Natürlich gehöre ich auch zu jenen Menschen, die in frisch gereinigter weißer Bluse Rucola mit Aceto Balsamico essen, ohne Serviette, denn die Servietten liegen irgendwo hinten im Schrank und man sitzt ja schon am Tisch. Ich weiß, dass Rucola mit Aceto noch gefährlicher ist als Spaghetti Bolognese. Trotzdem trete ich wie immer viel zu nah an den Abgrund – und falle hinein. Bluse ruiniert, Ali in der Reinigung guckt skeptisch: „Weiß nicht, ob das rausgeht.“ Hätte alles nicht sein müssen, wäre ich nur einmal aufgestanden, um mir die verdammte Serviette um den Hals zu binden.
Schadensbegrenzung ist echt nicht mein Fachgebiet. Ich denke immer, das klappt schon, egal ob ich den gespülten Teller auf dem bereits unter einem meterhohen, statisch fragwürdigen Konstrukt aus Bratpfannen und Geschirr ächzenden Abtropfgestell balanciere oder in meinem brandneuen, knöchellangen Rock – wie üblich spät dran – auf dem Fahrrad zum Zahnarzt sause. Wird schon, sage ich mir, aber natürlich fallen alle Teller runter, und mein Rock verhakt sich in den Speichen.
Neuerdings habe ich, immerhin, eine Haftpflichtversicherung. „Haftpflichtversicherung beantragen!!!!!“ stand seit Weihnachten auf meiner kilometerlangen To-Do-Liste, aber bisher hatte ich mich einfach nicht dazu überwinden können, bei Ergo Direkt anzurufen. Ist halt echt anstrengend, zum Telefon zu greifen. „Bist du wahnsinnig?“, sagte mein Vater, als ich ihm im April erzählte, immer noch haftpflichtversicherungslos zu sein. „Da musst du nur einmal bei Rot über die Ampel gehen (mache ich natürlich auch ständig), einen schweren Verkehrsunfall verursachen und schon bist du bis an dein Lebensende ruiniert.“ Ich finde es echt gruselig, wenn mein Vater so redet, denn natürlich hat er Recht und ich weiß, wie schwierig es ist, verletzungsfrei durch diese Welt zu navigieren, ich bin schließlich kein Kind mehr. Obwohl es mir manchmal so vorkommt.
So gleicht mein Leben mittlerweile einem notdürftig zusammen geflickten Gebrauchtwagen, in dem der Motor ächzt, das Lenkrad klemmt und hinten eine Ölspur raus tropft. Fährt irgendwie, aber wer weiß, wie lange das noch gut geht. Aber gibt es überhaupt Leute, die es wirklich hinkriegen, alles immer ordentlich, pünktlich und gewissenhaft zu erledigen? Und wenn ja, was müssen das für Leute sein? Solange die größeren Schäden ausbleiben, hat ein improvisiertes Leben doch eigentlich viel mehr Charme als ein einstudiertes. Mein Leichtsinn erinnert mich daran, wie jung ich – zum Glück! – noch bin. Und vielleicht sind wohldosierte Nachlässigkeit und Faulheit die besten Mittel, die Eintönigkeit des Seins gelegentlich mal aus dem Takt zu bringen.