Winkewinke aus der Business Class

DER LOOK DER SAISON IST KEINE HANDTASCHE – SONDERN DIE HAND SELBST!

bildschirmfoto-2016-12-08-um-9-10-11-amWer wissen will, welche Trends demnächst unsere Fußgängerzonen erobern werden, muss die Instagram-Stars der Republik befragen. Mit mehreren hundert „K“ Anhängern haben sich diese Damen zur nationalen Geschmackselite hochgearbeitet. Früher träumten junge Mädchen von Braunschweig bis Berlin davon, die nächste Britney Spears zu werden. Jetzt wären sie gerne Caro Daur. Das ist so ein Modebloggerin aus Hamburg, die aber selten in Hamburg ist, weil sie meistens in einem Ritz oder Hyatt in Panama oder Miami unterwegs ist und mit total spontanen Instagram-Schnappschüssen ihren supernatürlichen Mädchen-von-nebenan-Look kultiviert. Naja, diese Damen wissen einfach, was heute gefragt ist – meistens bekommen sie zwar Geld, Geschenke, Hotelübernachtungen und Blumensträuße dafür, irgendwelchen Kram für gefragt zu erklären, aber wir wollen mal nicht so streng sein. Fest steht, dass alle Mädels von Braunschweig bis Berlin heutzutage Caro Daurs Blond, ihr Gucci-Kleid und ein Lufthansa-Business-Class-Ticket brauchen. Und, ganz neu und wirklich super angesagt, diese ganz spezielle Art, wie Caro ihre Hand in der Luft hält.

Die ist nun wirklich faszinierend, und nicht nur Caro beherrscht sie perfekt. Meine Recherche hat ergeben, dass heute kein Instagram-Mädchen, das etwas auf sich hält, ohne lässig auf Kinnhöhe platzierter Hand aus dem Haus geht. Die Hand schwebt dabei locker in der Nähe vom Mund, der am besten halb geöffnet ist, damit man bloß nicht bescheuert oder so aussieht. Fortgeschrittene wickeln noch eine Haarsträhne um den Finger. Ich habe neulich in New York eine junge Frau in Lederhose und Pelzjacke dabei beobachtet, wie sie für ein Fotoshooting Coffee-to-go-Becher und Sonnenbrille in der Hand balancierte und dazu eine blondierte Strähne zwischen den Fingern derselben Hand zwirbelte – also, bequem sah das nicht aus. Aber natürlich total heiß.

Dieser Trend ist also beschlossene Sache, bald wird es auf den Straßen von jungen Frauen mit exakt dieser Pose nur so wimmeln. Es lohnt sich deshalb, der Sache auf den Grund zu gehen. Was passiert da eigentlich genau? Was hat man davon, die Hand so zu halten? Und gab es diesen Trend schon?

Ich habe mal die großen It-Girls der Vergangenheit gegooglet – die Jungfrau Maria, die Göttin Venus, Marlene Dietrich. Die Jungfrau Maria hat meistens den kleinen Jesus auf dem Arm, sie kann ihre Hand nicht zum Strähnenzwirbeln verwenden. Auf Botticellis Gemälde hat die Venus alle Hände voll damit zu tun, ihre sekundären Geschlechtsteile zu verbergen. Marlene Dietrich hielt ihre Hand tatsächlich öfter mal auf Kinnhöhe, dabei hatte sie aber meistens eine Zigarette zwischen den Fingern. Ich dachte schon, ich würde nichts finden, bis mir die Zeitschrift „Constanze“ von 1964 einfiel, die mir meine Großmutter mal geschenkt hat. In der „Constanze“ sieht man lauter Frauen mit ganz ähnlicher Pose. Manchmal legen sie die Hand an den Hut, manchmal an die Sonnenbrille, eines der Models hält die Hand tatsächlich auf Kinnhöhe. Daneben finden sich Nähanleitungen und Anzeigen für Waschmaschinen. Wir erinnern uns: in den Sechziger Jahren waren die meisten Frauen Hausfrau. Und wenn sie nicht Hausfrau waren, dann waren sie vielleicht Fotomodell. Ihre Aufgabe bestand darin, es Männern recht zu machen und hübsch auszusehen. Wenig von dem, was sie taten, war an einen für sie selbst förderlichen Zweck gebunden. Und so ist es auch mit der Hand, die damals wie heute in der Luft schwebt, unschlüssig, ja fast so, als würde sie auf irgendwas warten. Sie erfüllt keinen Zweck. Sie macht nichts, sie zupft nicht mal Haare aus dem Gesicht. Merkwürdig, dass diese Pose gerade jetzt zurückkehrt. Leben wir nicht in einer Zeit, in der Frauen immer irgendwas zu tun haben sollten?

Vielleicht ist die nutzlos schwebende Hand aber auch viel weniger politisch, als ich denke. Vielleicht haben die Instagram-Girls mit dieser Pose einfach die Lösung für ein ganz lästiges Menschheitsproblem gefunden: wohin bloß mit meinen Händen? Hände sind ja komisch. Wer schonmal fotografiert wurde, kennt das Problem: was tun mit den Dingern, wenn man sie gerade nicht braucht? Als ich in die Grundschule ging, also so um 2000 herum, galt es als schick, die Daumen in die Gürtelschlaufen zu stecken und die Hände vom Bund runterbaumeln zu lassen. Ich weiß noch genau, dass an meiner Schule alle Leute, die etwas auf sich hielten, das so machten. Man kann seine Hände in die Hüften stemmen, in den Hosentaschen vergraben, hinterm Rücken verstecken, vor der Brust verschränken, eine Raute daraus formen oder wie zwei tote Äste neben dem Körper hängen lassen. Ja, es gibt Möglichkeiten, aber keine davon ist ideal, weil das halt alles die Posen von Leuten sind, die nicht wissen, wohin mit ihren Händen. Die Hand in der Luft ist dagegen eine ganz bewusste Entscheidung. Sie erinnert sogar ein bisschen an das royale Winken, das Prinzessin Mia in Plötzlich Prinzessin verordnet bekommt, diese vornehme Art, mit seinen Untertanen Kontakt aufzunehmen. Und irgendwie tun die Instagram-Prinzessinnen ja auch nichts anderes. Winkewinke aus der Business Class.