Irdisches Raumschiff

WIE ES IST, IN EINEM SMART HOME ZU WOHNEN

Meine Eltern sind vor einer Weile umgezogen, ich berichtete. Jetzt wohnen sie in einem sogenannten Smart Home, also einer Wohnung, die sich per Handy steuern lässt. In einem Smart Home bekommt man zum Beispiel eine Nachricht aufs Telefon geschickt, wenn Post im Briefkasten ist. So geht man, echt smart, nie umsonst zum Briefkasten. Eigentlich wollten meine Eltern woanders hinziehen, sie sind nämlich eher so der Wohntyp Knarrende Dielen und Kaminfeuer, weniger high tech. Aber mit der Wohnung, in die sie eigentlich ziehen wollten, gab es Probleme, deshalb bot ihnen der Vermieter vorübergehend dieses Smart Home zum halben Preis an, wegen der Unannehmlichkeiten. Ich habe jetzt zwei Wochen dort Urlaub gemacht und fand es ziemlich amüsant. Zeitweise fühlte ich mich wie am Arbeitsplatz von James Bonds Kollegen Q.

Man betritt das Wohnhaus nicht mit einem Schlüssel, sondern mit einer App, die einen stroboskopartigen Lichtblitz auf dem Bildschirm des Smartphones anzeigt, das man vor eine schwarze Scheibe in der Hauswand halten muss. Meine Mutter hatte mir einen personalisierten Link zu diesem Lichtblitz nach Berlin auf mein Handy geschickt, damit ich ins Haus könnte, wenn ich bei meinen Eltern ankäme. Die App, mit der man diesen Link öffnet, heißt Lightpass und behauptet von sich, „The future of access“ zu sein. Sollte sie sich durchsetzen, werden wir in 50 Jahren unseren Enkeln erzählen: „Wenn wir früher unsere Eltern besuchten, versteckten sie uns den Haustürschlüssel im Blumentopf, oder wir kletterten durch’s Kellerfenster“, und unsere Enkel werden uns ratlos anschauen und fragen, was ein Blumentopf ist (oder ein Haustürschlüssel).

Hat man den Lichtblitz lange genug vor das unsichtbare Schloss gehalten, sirrt es irgendwann, unsichtbare Schlösser schieben sich auseinander, was ein bisschen so klingt, als würde man einen Hochsicherheitstresor in einem Mafia-Casino oder in der Harry-Potter-Bank Gringotts öffnen. Dann geht die Tür auf.

Schwieriger ist es, ins Haus zu kommen, wenn man keinen Lichtblitz-Zugang hat. Dann muss man auf einem touch screen auf den Namen der Familie tippen, die man besuchen möchte („Früher, liebe Enkel, drückten wir auf sogenannte Klingelknöpfe“). Leider funktionierte diese „Klingel“ monatelang nicht, weshalb Gäste meine Eltern immer anrufen mussten, wenn sie da waren. Meine Eltern kamen dann runter und machten die Tür auf. Für ein Haus, das sich smart nennt, ist das natürlich eine ziemliche Blamage – ungefähr so, wie wenn ein Sternekoch kein Ei kochen kann. Das ganze Hauszugangs-System hat sich eine Start-Up-Firma aus Berlin überlegt, was erklären dürfte, warum es nur beschränkt funktioniert. Mittlerweile ist es durch ein anderes ersetzt worden.

Der Fahrstuhl ist leicht bläulich beleuchtet, im Spiegel sieht man immer etwas magenkrank aus, er eignet sich aber gut zum Augenbrauenzupfen. Im vierten Stock sagt eine Frauenstimme in selbstgefälligem Tonfall „Level Four“, damit man sich nicht im Stockwerk irrt. Die sehen hier nämlich alle gleich aus. Alle Wohnungen haben die gleiche, tresorartige, schwarz-schimmernde Tür ohne Klinke. Weil Weihnachten war, hatte meine Mutter einen hübschen Mistelzweig mit roter Schleife an die Tür gehängt, was ungefähr so aussah, als hätte man Darth Vader als Nikolaus verkleidet.

 

Die Wohnung, das kann man nicht anders sagen, ist wirklich schön. Sie hat überall riesige Fenster, die einen tollen Ausblick bieten und viel Licht hereinlassen. Leider kann man die meisten von ihnen nicht öffen, was daran liegt, dass Smart Homes auch in Energiefragen ganz schön gewieft und deshalb in allen Zimmern mit einer unsichtbaren Lüftung ausgestattet sind. Das Smart Home ist eine Art irdisches Raumschiff, für alles gibt es einen Knopf oder ein Signal. Der Kühlschrank schlägt Alarm, wenn man ihn zu lange offen lässt. Der Ofen arbeitet prinzipiell nur, solange die Tür zu ist – wie ein preußischer General, der keinen Befehl annimmt, solange er keine Uniform trägt. In jedem Zimmer hängt ein iPad an der Wand, das einem anzeigt, wo in der Wohnung gerade ein Feuer ausgebrochen ist. Über eine App namens „Butler“ kann man die Jalousien per Knopfdruck schließen und sich von jedem Zimmer aus ein heißes Bad einlaufen lassen kann. Eigentümlicherweise haben meine Eltern diesen Service noch nie genutzt. Aber gut, das Problem ist bekannt. Wer einen Sandwich-Maker besitzt, macht auch nie Sandwiches.

Anfangs war mir die Wohnung sehr fremd. Sie wirkte so unmenschlich. Mir fehlte das Knarren des Bodens, das Pfeifen des Windes durch die Fensterritzen, das Klappern der Türen, das Lebendige, das eine Wohnung ausmacht. Mit der Zeit lernte ich ihre Seele aber doch kennen.

Einmal stand ich komplett angezogen in der Dusche und wollte mir unter dem Handduschkopf die Füße waschen. Anscheinend drückte ich aber den falschen Knopf, woraufhin von der Decke ein niagarafallartiger Schauer auf mich herniederging.

Einmal berührte ich am Backofen aus Versehen einen mir unsichtbaren Menüpunkt auf dem touch screen, und durch Zauberhand schoss, ähnlich dem Heckspoiler eines Rennwagens, ein balkonartiger Vorbau aus der Armatur – der Wasserbehälter für die Dämpffunktion. Ich erschreckte mich fast zu Tode.

Einmal ging aus heiterem Himmel die Beleuchtung im gläsernen Getränkekühlschrank an und die Kühlschranktür mit einem Sirren auf, obwohl sich kein Mensch in seine Nähe bewegt hatte. Wer glaubt, dass Gespenster nur unter knarrenden Dielen hausen, irrt gewaltig. Als wir einmal abends beim Essen saßen, fing der Abzug über der Herdinsel unvermittelt an zu piepen. Meine Eltern sahen sich entsetzt an. „Was haben wir falsch gemacht?“ fragte meine Mutter mit panischem Blick. Wir wissen es bis heute nicht. So ist das in einem Smart Home: Das Haus ist immer schlauer als man selbst.

Allerdings verzeiht man ihm umso weniger, wenn es mal nicht weiterweiß. Zum Beispiel, wenn die sich automatisch aufstemmende (und dabei hysterisch piepende) Balkontür plötzlich quietscht. Oder die Klingel schon wieder kaputt ist, und der Postbote ein Paket deshalb in einem eineinhalb Kilometer entfernten Kiosk hinterlegt. Oder die Knöpfe in der Dusche auf einmal alarmrot leuchten und kein Wasser mehr aus dem Duschkopf kommt. Im Smart Home sind Kabel und Rohre unsichtbar, geheizt wird über den Fußboden, nicht mal unterm Waschbecken findet man ein Wasserrohr. Man kann hier nicht mal eben mit dem eigenen Werkzeugkasten irgendwo herumklempnern. Man muss immer gleich einen IT-Experten bestellen, wenn das Haus schon wieder irgendwo ein Problem hat.

Das ist der Haken, den viele moderne Häuser haben: Sie sind nur dann richtig toll, wenn jedes ihrer features perfekt funktioniert und sie überall blitzblank funkeln. Jeder Fettfleck, den sich die chromglänzende Küche einfängt, ist wie die verrutschte Perücke der sonst makellos geschminkten Hollywoodschönheit: unverzeihlich, weil das Versprechen der Perfektion brechend. Auch die Frau, die in Jacques Tatis Film „Mon oncle“ ein hypermodernes Gebäue bewohnt, weiß um das Problem. Das perfekte Haus hat ihr einen waschechten (hehe) Putzfimmel eingebrockt. Sie putzt nicht nur ständig die bodentiefen Fenster, sondern auch den weißen Kaktustopf, das Gartentor, die Aktentasche ihres Mannes und die Klinke seines bereits anfahrenden Autos. Smarte Häuser mögen ihre Annehmlichkeiten haben. Aber auf eines sind sie nicht vorbereitet: nämlich auf die Unordnung des Lebens, das in ihnen wohnen soll. Gemütlichkeit lässt sich nicht per Knopfdruck anstellen.

Headerbild: Film-Still aus „Mon Oncle“