Von Edelgasen und grellen Akzenten: Neonfarben

Tuch: Ambacht

Warum Neon die Farbe dieses Sommers ist, habe ich jetzt, wo bereits schon wieder die dunkler getönten Winterkollektionen in den Läden eintrudeln, noch immer nicht verstanden. Letztes Jahr waren es die Knallfarben, in diesem Jahr eigenartig kontrastierend Pastell- und eben Neon-Kolorite. Wer entscheidet darüber, wem fällt es gar ein, sich herauszunehmen, über die so wichtige Frage der Trendfarben in der jeweiligen Saison zu urteilen? Darüber habe ich bereits an anderer Stelle in Bezug auf das in diesem Jahr ebenfalls sehr präsente Limettengrün nachgedacht. Laut Lidewij Edelkoort, einer der weltweit wichtigsten Trend-Scouts, sind wir, die Konsumenten, selbst für den alljährlich sich neu konstituierenden Farb-Hype verantwortlich:

„Ich erfinde nichts Neues, ich beobachte einfach, was um mich herum passiert. Was die Menschen anhaben, welche Farben, Frisuren, Stoffe sie tragen und was sie machen.“

Was also haben wir getragen, gemacht, gewollt, dass sich daraus der Neonfarbentrend für das Jahr 2012 ableiten ließ?

Neon, dabei handelt es sich eigentlich um ein chemisches Element mit dem Symbol Ne und der Ordnungszahl 10 (verrät mir Wikipedia, ich selbst war immer die größte Niete im Fach Chemie). Es gehört zu den Edelgasen, ist allerdings farblos und wird am häufigsten in Leuchtröhren verwendet, in denen es „durch Gasentladungen in einer typisch orangeroten Farbe zum Leuchten angeregt wird.“ Mit Neonlampen und Leuchtröhren verbindet man in erster Linie gruselig illuminierte Räumlichkeiten, zum Beispiel Krankenhausflure oder Aldi-Filialen; neonfarbig sind außerdem Warnwesten (die, wie Karl Lagerfeld es treffend feststellte, „hässlich sind und zu nichts passen, aber Leben retten“) und funktionelle Sportoutfits (offenbar soll die dynamische Farbe zu Bewegung und Aktivität animieren) – fest steht: mit Ästhetik und Schönheit hat Neon garantiert nichts zu tun.

Kein Wunder also, dass die glühenden Farbakzente besonders in den Achtziger und Neunziger Jahren, der Ära der rebellischen Geschmacklosigkeiten, ihre modische Hochzeit erlebten, wobei es noch untertrieben ist, hierbei von „Akzenten“ zu sprechen. Wer ins Modefragen damals etwas auf sich hielt, trug das körperbetonte, möglichst hässliche Aerobic-Outfit – Leggins, Gymnastikanzüge, Haar- und Schweißbänder aus Frottee sowie Stulpen – im grellen All-Over-Neonfarbenlook, und das nicht nur im Fitnessstudio, sondern auch im Alltag auf der Straße und auf Dinnerparties. Sowohl der Neon- als auch der Sportsweartrend waren also in harmonischem Einklang geboren und haben es heute, fast zwei Jahrzehnte später, tatsächlich auf die internationalen Laufstege geschafft. Das passt hervorragend zu der seit nun bereits mehreren Saisons anhaltenden Entwicklung in der Modewelt, Scheußliches in High Fashion zu verwandeln – damit sind auch die Neonfarben längst nicht mehr Ausdruck einer rebellischen Ich-trage-mein-Sportoutfit-im-Gourmetrestaurant-Attitude, sondern schlicht und ergreifend der letzte Schrei und eines der beliebtesten i-Tüpfelchen der aktuellen Sommersaison.

In seiner Stilkolumne im ZEITMagazin schrieb Tillmann Prüfer zu Beginn der Saison:

Die Farben sollen nicht nur leuchten, sie sollen donnern. Und weil die schrillsten Farben die Neontöne sind, haben sie nun ihren ganz großen Auftritt. Dabei hatte es so ausgesehen, als hätten sie sich in den vergangenen Jahren endgültig diskreditiert: Neongrün waren die Schnürsenkel der Nike-Sneakers in den achtziger Jahren, neongelb die Smilies der Acid-House-Kultur, neonpink die Tanktops auf der Loveparade der neunziger Jahre. Nun sind sie zurück. Genauso knallig und doch anders.
Neonfarben werden jetzt raffiniert kombiniert. Etwa mit breiten Blockstreifen oder mit Grau- und Hauttönen oder schlichtem Schwarz. Sie leuchten nicht mehr für sich allein, sondern im Kontrast.

Ein neongelber Hosenanzug ist heutzutage also vollkommen unangebracht, und das nicht, weil ein Hosenanzug nicht schick wäre, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil die Mode in diesen Tage erwachsener ist als noch vor 20 Jahren, weil wir heute dezente Akzente setzen und nicht farbschreiend durch die Welt laufen. Ich zumindest nicht. Das kann zwar auch Spaß machen, auf Dauer aber reichlich anstrengend und ermüdend sein.

Ein feines, neongelb getupftes Accessoire darf es jedoch durchaus sein, und wer bei den aktuell ohnehin ungemütlichen Temperaturen auf der Suche ist nach einem wärmenden Schal, dem sei an dieser Stelle das Hamburger Label Ambacht empfohlen: die weichen, großflächigen Sommertücher aus reinster Baumwolle werden in liebevoller Handarbeit mit Neondrucken dekoriert und leuchten, ich habe es selbst getestet, auch in schwarzlichtgefluteten Diskotheken. In Kombination mit schlichtem Schwarz, wie Tillmann Prüfer uns rät, gefällt mir das Tuch besonders gut – da sind doch alle Geschmacklosigkeiten gleich vergessen.

Jacke und Schuhe: Vintage, Top: Weekday, Shorts: Monki