Auftritt des Papageno

Längst ist das Heer von Redakteuren, Models und Fotografen von der London Fashion Week weiter nach Italien gereist, und trotzdem schaue ich noch einmal zurück zum Spektakel am Somerset House – dort war es nämlich wirklich gar zu herrlich, gerade für mich, ein echtes London-Greenhorn. Das in London existente Aufgebot an durchgeknallten Modepüppchen ist bekanntlich enorm, und deshalb wollte auch ich den lustigen britischen Damen mit ihren futuristischen Rüstungen, Teddybär-Handtaschen und rosa gefärbten Topffrisuren natürlich in nichts nachstehen und endlich auch einmal, zumindest modisch gesehen, die Puppen tanzen lassen.

Für sagenhaft kurze 48 Stunden, die ich in London verbringen durfte, brauchte ich am Vortag der Reise sagenhafte 4 Stunden, um mein winziges Handköfferchen mit allerlei auffälligem Zeug in irgendwie harmonierender Zusammenstellung zu füllen, bloß um am Morgen des ersten Fashion-Week-Tages betrübt feststellen zu müssen, dass mich nie zuvor etwas mehr gelangweilt hatte als dieser einst so akribisch selektierte Kofferinhalt. Das Betrübtsein mündete in Panik, und der Panikzustand wiederum in einen hektischen Besuch bei Topshop, wo ich mich aufgrund Zeitmangels in sensationellen fünfeinhalb Minuten für eine hellblaue Bluse mit verdeckter Knopfleiste, und ein voluminöses, gestepptes Paisley-Oberteil entschied, beides aus der Feder des genialen J.W. Anderson stammend. Dumm war nur der Umstand, dass kein Geld für ein passendes Unterteil übrig blieb, weshalb ich notgedrungen den Bleistiftrock mit Dalmatinerfleckenprint anbehalten musste und den resultierenden scheußlichen Anblick meiner eigenen Person von nun an tunlichst zu vermeiden versuchte. Ironischerweise war gerade auch nichts anderes als eine Riesenclutch mit schwarzweißem Schlangenmuster greifbar, und so zweifelhaft ausstaffiert, Mozarts Papageno aus der Zauberflöte gar nicht unähnlich, spazierte ich schließlich zum Somerset House.

Selten habe ich mich so fern von jeglicher Rationalität und minimalistischer Vernunft angezogen, meist kleide ich mich nach deutscher Manier aufgeräumt und ordentlich, das gefällt mir gut, der Kanarienvogel-Aufzug weniger, doch offenbar schien ich die einzige Person mit dieser Meinung im Umkreis der Fashion-Week-Location zu sein, denn kaum hatte ich das Gelände betreten, stürzte sich die versammelte Truppe der Streetstyle-Fotografen auf mich, um ein Foto von meinem elementar hässlichen Outfit zu schießen. Ich fühlte mich wie Björk im Schwanenkleid bei der Oscar-Verleihung, nur ohne Schwanenkleid und roten Teppich.

All das erzähle ich hier weder aus falscher Bescheidenheit noch aus Angeberei, ich habe mich lediglich gefragt, weshalb alle Welt es heutzutage so wahnsinnig spannend und vor allem schick findet, wenn jemand in absolut geschmackloser Outfitkombination zur London Fashion Week erscheint. Dieser mittlerweile fast gängige Look der modischen Disharmonie, der bei den meisten Besucherinnen der Modewoche, egal ob in New York City, London oder Mailand, natürlich mit immenser und hinterher möglichst unsichtbarer Akribie zusammengestellt und in der Regel primär mit dem Hintergedanken zur Schau getragen wird, dass sich doch bitte, bitte alle Kameralinsen auf einen richten mögen, hat in den letzten Jahren fast dafür gesorgt, dass das Geschehen abseits der Laufstege aufregender als der eigentliche Anlass der Modewochen geworden ist.
Wir ziehen nicht mehr an, was unserem persönlichen Stil entspricht, sondern was möglichst überhaupt nicht zusammenpasst, denn wie jedes Kind weiß, ist es schwer, heutzutage avantgardistisch zu sein – die Leute haben sich schließlich an alles gewöhnt. Deshalb freuen sie sich so sehr, wenn jemand wie Clairette daher kommt, ganz offensichtlich ohne den Hauch von Stilempfinden, und ein Paisley-Oberteil zum Dalmatinerrock und Schlangenledertäschchen kombiniert.

Leandra Medine, das fabelhafte Köpfchen hinter unser aller Lieblings-Online-Lektüre Man Repeller, sinnierte neulich ebenfalls über den eigentlichen Wert der Streetstyle-Fotografie; die Tatsache, dass wir Modemädchen eigentlich doch am liebsten deshalb zur Fashion Week gehen, weil wir hoffen, dort Scott Schumann oder Tommy Ton über den Weg zu laufen – und wie dieser ganze affektierte Zirkus denn nun zu beurteilen sei.

Street style isn’t street-centric anymore, it’s a string of calculated outfitting chronicles that every so often register somewhat contrived.


And I’m guilty of it too. There are certainly moments when I put something on and either veto or acknowledge it’s power to instigate a photo-snap. This isn’t to say I change should the garment sway further toward a veto but the mere fact that this thinking process occurs speaks strongly to the power of the craft.“


So gesteht Leandra treuherzig und ehrlich ihre eigenen narzisstischen Anwandlungen, von denen wir ja alle irgendwie irgendwann heimgesucht werden – doch zugleich stellt sie klar: Mode darf, Mode soll inspirieren, Spaß machen und zu stetem Wandel und neuen Ideen motivieren. Dass dieser Drang zu Innovation und Inspiration heutzutage nicht mehr nur auf dem surrealen Pflaster der Laufstege, sondern auch, ganz authentisch, zwischen Gullideckel und Bürgersteig zu finden ist, und dabei nicht offensichtlich einer Ästhetik des alteingesessen Schönen und perfekt Harmonierenden entsprechen muss, sollten wir somit im Grunde als rein positive Entwicklung bewerten.

Und in diesem Sinne habe ich also begonnen, mich mit meinem London-Fashion-Week-Outfit doch irgendwie anzufreunden. Und stelle wieder einmal fest: je weniger man seine Garderobe plant, und mit umso mehr Chaos, Unbeschwertheit und Spaß man an das morgendliche Ankleiden herangeht, umso lustiger wird das Resultat. Und die Mode an sich sowieso. Die ist nämlich ein Spiel, nichts weiter.

PS: Hier kann übrigens jeder, der Lust hat und nett sein will, mit einem einzigen Klick seine Sympathie für meine Person bekunden und damit dafür sorgen, dass ich eventuell Gewinnerin der Fashion Week S/S 2013 Street Style Competition werde. Uiuiui.