In der aktuellen Ausgabe der deutschen Vogue verrät Claudia Schiffer ihr Schönheitsgeheimnis. Das soll keine große Neuigkeit sein? Obacht, die Schiffer gibt allsaisonal neue Beauty-Tipps. Vor einiger Zeit riet sie, sich allmorgendlich das Gesicht mit Evian-Wasser zu waschen. Natürlich sei regelmäßige sportliche Ertüchtigung auch nicht falsch, wobei die 43-Jährige auf „lange, schnelle Spaziergänge im Park schwört“, wie es bei fashion-magazin.de heißt. „Ich mache keine extremen Sportarten wie Joggen“, erklärte sie der Bunten, wohingegen die Bild der Frau zitiert, Borretsch-Öl mache die Haut modelweich. Und was hat sie nun der Vogue erzählt? „Ich lebe so glutenfrei, wie es geht, und versuche, Kuhmilch zu vermeiden.“ Ah ja, da haben wir es wieder: die böse Kuhmilch! Warum ist die eigentlich so in Verruf geraten? Macht Milch wirklich hässlich?
Ich habe eine ganze Reihe von Freunden und Bekannten, vor allem in Berlin natürlich, die mir neuerdings erzählen, seitdem sie keine Milch mehr tränken und sich nur noch von Quinoa ernährten, fühlten sie sich um ein Vielfaches frischer und vitaler. Dabei handelt es sich wohlbemerkt nicht um Menschen mit krankheitsbedingten Intoleranzen, sondern um Leute, die der Facharzt wahrscheinlich als kerngesund bezeichnen würde. Wir reden hier nicht von der medizinischen, sondern von der modischen Lebensmittelintoleranz: Milch- und Glutenverzicht sind sowas wie die Plateausandale der Ernährungsindustrie. Früher war sie mal Schuhwerk der Fußkranken, heute ist sie der heiße Trend auf Laufstegen und Hochglanzseiten.
Generell sage ich ja immer: jeder soll tun, was ihn/sie glücklich macht. In dieser Sache ist der Fall aber prekärer: neuerdings schmeckt mir die Kuhmilch nämlich auch nicht mehr so gut. Morgens um halb 8 über den Haferflocken fallen mir auf der Stelle die Worte all der zu Lactose-/Fructose-/Gluten-Enthaltsamkeit Bekehrten aus meinem Freundeskreis ein, die mit erhobenem Zeigefinger predigen: „Der erwachsene Organismus ist gar nicht darauf ausgerichtet, Lactose zu verdauen. Und Gluten verklebt die Magenwand.“ Einmal saß ich zum Mittagessen mit drei Bekannten in einem guten Restaurant, ich bestellte Risotto, die anderen Cesar Salad ohne Croutons. „Kohlenhydrate machen schlechte Haut und sorgen für eine träge Verdauung“, dozierte die eine mit Blick auf meinen Reisteller, „also, bei mir zumindest.“ Das ist wohl der neue Kulinarik-Trend: anderen mit ihren Weisheiten vom ästhetischen Verzicht den Appetit verderben. Gerne zitiert werden auch die vorbildlichen Ernährungsgewohnheiten des Steinzeitmenschen, der nur von Beeren und Nüssen lebte und damit bekanntlich in Einzelfällen sogar das dreißigste Lebensjahr erreichte. Toll! Früher war alles besser.
Die Süddeutsche Zeitung hat dazu neulich einen interessanten Artikel unter dem Titel „Schlaraffenland ist heute“ veröffentlicht: der Kulturpessimismus gegenüber der Lebensmittelindustrie habe aktuell einen neuen Höhepunkt erreicht – entgegen der Tatsache, dass wir uns in den westlichen Industrieländern noch nie besser und ausgewogener ernährt haben als heute. Während es nun im Supermarkt alle erdenklichen Speisen bester und akribisch geprüfter Qualität zu kaufen gibt, sah die Vorratskammer noch bis vor wenigen Jahrzehnten weitaus unattraktiver aus: damals gab es Grütze ohne Gewürze zum Frühstück und oftmals verdorbenes Fleisch zum Abendessen. Vom teils gerade zu dramatischen Kalorienmangel in Kriegszeiten ganz zu schweigen.
Trotzdem redet alle Welt davon, wie viel gesünder und vor allem natürlicher sich der Mensch früher ernährt habe, wohingegen heutzutage alles mit Pestiziden, Konservierungsstoffen und anderen Kunstprodukten vergiftet sei. Auch die Kuhmilch ist von dieser Hetzjagd scheinbar nicht verschont geblieben. „Die einen ernennen Weizen zum puren Gift“, heißt es in der Süddeutschen, „die anderen Zucker; und rund um Milch tobt ein ebenso erstaunlicher wie erbitterter Kulturkampf. Und alle argumentieren sie auf die gleiche Weise: Diese Lebensmittel entsprächen nicht den natürlichen Bedürfnissen des Menschen, seien künstlich hergestellt und machten krank. So klingen die Ängste satter Menschen.“
Ob Claudias Beauty-Tipps wohl mit diesen Volksängsten zusammenhängen? Vielleicht verschafft die Foto-App Instagram Antwort: dort lässt sich seit einiger Zeit ein wachsender Trend unter Hashtags wie #eatclean (8.931.513 Beiträge), #fitlife (1.707.256 Beiträge), und #healthyliving (1.414.721 Beiträge) verorten: gut trainierte Menschen posten abwechselnd Bilder von ihrem Trizeps und ihrem beilagenfreien Lachsfilet. Ein Tag in der Woche ist für den #cheatday reserviert: da darf man sich dann selbst betrügen und essen, was man will. Zum Beispiel ein Käsebrot.
War Verzichten jemals so trendy wie heute? Alle #eatclean-Bilder sind natürlich, typisch Instagram, sehr ästhetisch bearbeitet, und wenn man sich durch die endlosen Fotoreihen scrollt, muss man einfach glauben, dass Quinoa wirklich schön macht. Und Kuhmilch hässlich. Schönheitswahn in Verbindung mit öffentlicher Aufmerksamkeit – keine ungefährliche Kombination.
Allein die Tatsache, dass ein Grundbedürfnis wie Hunger auf Kohlenhydrate neuerdings als „cheating“ bezeichnet wird, zeigt ja schon, welch krankhafte Ausmaße der Schönheitswahn gerade mal wieder annimmt. Eine Bekannte von mir war bis vor Kurzem schwer anorektisch, jetzt turnt sie zweimal täglich im Fitnessstudio und präsentiert auf Instagram ihr Sixpack. Sie hat wieder angefangen zu essen, nach einem strengen Ernährungsplan wohlbemerkt, und ich frage mich, ob sie nun tatsächlich glücklicher und vor allem gesünder ist als vorher. Sportsucht mag weniger gefährlich sein als Magersucht, aber worum geht es denn bitte im Leben? Darum, immer nur verzichten? Und, noch schlimmer, den anderen selbstbetrügerischen Lebensgenießern damit auch noch den Appetit zu verderben? Ich habe mir noch nie irgendeine Speise verboten, esse mit Freuden auch nach zehn Uhr abends noch eine Frischkäsestulle, wenn ich Hunger darauf habe und bin mit dieser Strategie im Grunde immer ganz gut gefahren – natürlich ergänzt durch Sport und nicht allzu viel Junkfood. Ich habe festgestellt, dass es tatsächlich glücklich, gesund und schön machen kann, primär das zu essen, worauf man Hunger hat. Weil man dabei entspannt bleibt und keine Angstzustände beim Anblick eines Mozzarella-Sandwiches nach 18 Uhr bekommt. Entspannung macht glücklich, Glück macht schön. Meine Mutter lebt seit Urzeiten bedenkenlos mit Kuhmilch, Brot und Pasta, dazu betreibt sie „Extremsportarten“ wie Joggen, ist fast zehn Jahre älter als die Schiffer und sieht mindestens genau so frisch aus.
Wenn Schönheit aber zum Diktat wird, dem wir uns alle unterwerfen, nur weil es die Supermodels unter uns so vorleben, weil es auf Instagram viele Likes generiert und sich beim Smalltalk mit Freunden gerade so gut anhört, dann geht uns nicht nur der Spaß am Leben, sondern auch ein gutes Stück Kultur verloren. Ich habe die Nase voll davon, mit einigen Freundinnen ewig darüber diskutieren zu müssen, wo man denn jetzt am besten essen gehe könne, weil es in diesem Restaurant ja nur Pasta, und in jenem wiederum nur Reisgerichte auf Joghurtbasis gibt. Also wirklich. Von so viel strengen Restriktionen kann man ja nur Falten kriegen.