Weltverbesserer in Valentino

KANN EIN MODE-EDITORIAL GESELLSCHAFTLICHE PROBLEME THEMATISIEREN?

Im September 2012 kam es bei der deutschen VOGUE zu Trubel und Aufregung, nachdem das Hochglanzmagazin in seiner aktuellen Ausgabe eine Modestrecke veröffentlicht hatte, in der das Model Magdalena Langrova als Obdachlose verkleidet zu sehen war. Zu Prada-Blazer und Rochas-Rock trug die Abgebildete vollgestopfte Plastiktüten, saß auf  Eingangstreppen herum und schob Einkaufswagen mit Coca-Cola-Dosen durch die Gegend. Zahlreiche Kritiker meldeten sich zu Wort und nannten das geschmacklos und unsensibel; wie man denn solch ein prekäres gesellschaftliches Thema derart undifferenziert verherrlichen könne!

Es stimmte schon: die Bilder sahen unverschämt gut aus, was allerdings fehlte, war ein Text, der den Hintergrund und die Idee des kontroversen Editorials angemessen erklärt hätte. Andererseits hat man es aber auch wirklich nicht leicht als Moderedaktion: sind die im Magazin abgebildeten Fotos heiter, glatt und retuschiert, heißt es, kein Wunder, etwas Tiefsinniges könne man von der oberflächlichen und stumpfen Modewelt ja auch nicht erwarten. Und dann denkt man sich mal etwas Ausgefallenes aus, versucht eine Geschichte zu erzählen, auf ein Problem hinzuweisen, und schon sind die Kritiker wieder da, diesmal mit dem Tadel, so etwas Despektierliches könne natürlich auch wieder nur der aufgeblasenen Modewelt einfallen.

Man könnte annehmen, dass diejenigen, die lange genug in dieser Branche gearbeitet haben, irgendwann immun würden gegen die ständigen Vorwürfe anti-modischer Außenstehender, die ja niemals müde werden zu betonen, wie dekadent und inhaltslos diese Welt doch sei. Tatsächlich aber eint die Chefredakteurinnen der einflussreichen Zeitschriften der unermüdliche Wille, die Mode mit einer bestimmten Aussage zu verkaufen, die über reine Schönheitsfragen hinaus geht. Während die Kollegen aus den Politikressorts der Tageszeitungen aus Krisengebieten berichten und Wirtschaftsskandale aufdecken, will auch die VOGUE ihren Beitrag zur kritischen Allgemeinbildung leisten. Ganz vorn dabei: Franca Sozzani, Chefredakteurin der italienischen Ausgabe. Ihr neuester Streich: das Editorial „Horror Movie“, fotografiert von Steven Meisel.

Was wir dort sehen, hat mit dem herkömmlichen Sinn und Zweck einer Modestrecke, der nämlich darin besteht, die Leserin in positiver Weise anzuregen und zu bestimmten Outfits in passenden Lebenslagen zu inspirieren, nichts mehr zu tun. Das Thema: häusliche Gewalt. Kreischende Frauen stehen in Couture von Valentino und Miu Miu vor blutbespritzten Wänden, ducken sich in Zimmerecken, liegen verdreht auf Treppenstufen herum, den Kopf in eine Blutlache gebettet. Auch der Täter darf nicht fehlen: mal sehen wir nur seinen Arm, der sich mit Axt bewaffnet durch die Zimmertür schiebt, mal kommt er mit drohendem Gang um die Ecke gebogen. Ich finde dieses Editorial schauderhaft und gruselig, so schnell werde ich die italienische VOGUE nicht mehr abends allein in meinem Zimmer durchblättern.

Die Frage ist: soll das so sein? Soll ich mich gruseln? Will uns Franca Sozzani mit derart schockierenden Bildern wirklich wachrütteln, wie sie auf Nachfrage behauptet hat? Längst ist sie bekannt dafür, ihr Heft als Sprachrohr für streitbare Themen zu nutzen – allerdings stets mithilfe von Hochglanzfotografie anstatt mit langen Texten. Schon klar, ein Bild sagt mehr als 1000 Worte,  aber kann eine Modestrecke ernsthaft gesellschaftliche Probleme thematisieren – und zwar so, dass die Aufmerksamkeit für das Sujet tatsächlich in wirksamer Weise gesteigert wird? Werden die VOGUE-Leserinnen sich diese Bilder wirklich so sorgfältig anschauen, dass sie sich danach zu eingetragenen Vereinen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zusammenschließen? „We sell the dream because we are a magazine[…]“, sagt Sozzani ,„but at the same time, we can give people the opportunity to have a voice, for awareness. It’s not about provocation, at all.“

Inwiefern die Welt besser wird, nur weil ein Modemagazin mithilfe schöner Kleider und eines Starfotografen auf bestehende Missstände hinweist, daran kann man sicherlich durchaus seine Zweifel haben. Warum sollten Männer aufhören, ihre Frauen zu schlagen, nur weil die VOGUE eine Modestrecke aus diesem Alptraum gemacht hat?

2008 publizierte Franca Sozzani die „Black Issue“, in der ausschließlich schwarze Models abgebildet waren. Das ist etwas anderes: die bis dato erstaunlich rassistische Modewelt sollte auf den Umstand aufmerksam gemacht werden, dass schwarze Frauen auf Laufstegen und in Editorials noch immer dramatisch unterrepräsentiert sind. Es ging um ein Problem, das öffentlich sichtbar war und ist, das mit dem Faktor Aussehen, um den sich die Modewelt nun mal dreht, in direkter Verbindung steht. Drei Jahre später kam die „Plus-Size-Issue“ auf den Markt, mit drei vollschlanken Damen auf dem Cover – auch dahinter stand das Motiv, ein alternatives, freieres Schönheitsideal zu etablieren und dem Magerwahn der Modewelt entgegenzuwirken. Das sind Ideen, für die man Franca Sozzani sicherlich höchsten Respekt zollen darf. Aufmerksamkeit für Probleme dieser Art zu erregen funktioniert bestimmt gut mit glamourös aufgemachten Bildern. Dort schauen die Leute hin, da sehen sie: hui, so ein braunes Model ist aber toll, oder, fein, Hüftgold kann tatsächlich glänzen.

Häusliche Gewalt aber hat nichts mit einer bestimmten Optik zu tun, die sich mithilfe ästhetischer Visualisierung kritisieren oder hervorheben ließe. Und selbst wenn Franca Sozzani den betroffenen Frauen mit diesen Bildern Mut machen wollte (wobei ich nicht wüsste, inwiefern der Anblick eines Models in Blutlache ermutigend sein könnte) – warum hat sie dann nicht eine Reportage in Wort und Schrift veröffentlicht, die Einzelfälle aufdeckt und konkrete Hilfestellungen und Tipps im Umgang mit Gewalt gegen Frauen vermittelt? Auch wenn Sozzani es sicherlich nie zugegeben würde: beim Editorial „Horror Movie“ scheint die Kreativität doch ein bisschen mit ihr durchgegangen zu sein. Die Modewelt ist übersättigt und verlangt ständig nach neuen Innovationen, da ist es natürlich verständlich, dass man gelegentlich mal zu drastischen Mitteln greift, um für ein bisschen Schockeffekt zu sorgen. Doch auch hierbei gibt es Grenzen, die man besser nicht überschreiten sollte. Die Welt zu retten ist nicht Fachgebiet der Modebranche. Und häusliche Gewalt ist kein Problem, das sich in Valentino kleiden lässt.

Alle Bilder: Steven Meisel für VOGUE Italia 05/14