Ferien aus Papier

MIT DEM NEUAUFGELEGTEN MAGAZIN HOLIDAY IN DIE WEITE WELT TRÄUMEN

Letzten Samstag ist was Ungewöhnliches passiert. Nämlich: gar nichts. Ich habe abgeschaltet. Den Sessel ans weit geöffnete Fenster geschoben, die Füße auf den Sims gelegt und hinaus geschaut in die schöne weite Welt. Draußen hing ein unsichtbarer blauer Dunst milder Frühlingsluft, eine Temperatur, die man nicht spürt, nicht heiß und nicht kalt. Mein Laptop war aus, mein Handy auch, es fühlte sich an, als wäre ich im Urlaub. Erstaunlich und beängstigend zugleich, dass es für diese Illusion neuerdings wirklich schon reicht, für ein paar Stunden alle elektronischen Geräte abzuschalten. Plötzlich schien der Nachmittag unendlich lang, federleicht und schwerelos, herrlich.

Nach einer Viertelstunde meditativer Tiefenentspannung wurde mir langweilig. Das passiert mir immer. Ich kann mich nicht mal an einen Strand legen und ein Stündchen bräunen, nach spätestens 10 Minuten muss ich immer gleich eine Sandburg bauen oder Frisbee spielen. Aber weil meine Wohnung kein Strand ist, und Frisbees die Scheiben einschlagen, beschloss ich an diesem schönen Samstagnachmittag, endlich mal wieder eine richtig gute Zeitschrift zu lesen.

Seit einiger Zeit habe ich die unsinnige und garantiert schlechte Gewohnheit entwickelt, mir ständig schöne Magazine zu kaufen und sie anschließend mehrere Wochen unberührt in meinem Zimmer herumliegen zu lassen, bis ich mich irgendwann mal dazu zwingen kann, auch tatsächlich hineinzuschauen. Natürlich weiß ich genau, woher diese Schwäche kommt: als Mitglied der Suchtgemeinschaft Internet hat man ja irgendwie immer was besseres zu tun: Profile pflegen, Onlinezeitungen querlesen, Liveticker verfolgen, auf sämtlichen relevanten Blogs vorbeischauen, Webshops durchforsten, Blumenvasen tumblrn. Was bei alledem verloren geht, ist keine Neuigkeit: die Fähigkeit, einen auf Papier gedruckten Text mal wieder konzentriert und OHNE ABLENKUNG VON INSTAGRAM durchzulesen, die Lust, ein Magazin aufzuschlagen, das mehr zu bieten hat als gesponserte Produktempfehlungen und umgeschriebene Pressemitteilungen. Vor allem aber: die Zeit, die die Lektüre einer solchen Print-Publikation eben doch erfordert. Woher soll man diese Zeit nehmen, wenn man zusammen gerechnet mehrere Stunden am Tag damit verbringt, auf flirrende Bildschirme zu starren?

1946 gab es die grauen Vertreter dieser Bildschirme namens Apple, Google und Facebook noch nicht. Statt die Zeit totzuschlagen, wollten die Leute endlich wieder lebendig sein, Wohlstand und Konsum auskosten, verreisen, schöne Kleider tragen, die Aussicht genießen. Passend zur Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit brachte die US-amerikanische Curtis Publishing Company das Magazin Holiday auf den Markt. International Travel And Style Review lautet der Subtitel.

Das Konzept ist simpel und genial zugleich: Autoren und Fotografen werden an die exklusivsten Urlaubsorte des Erdballs geschickt, einzige Auflage ist die Heimkehr mit einer grandiosen Story. Kein billiger Service-Journalismus mit Hotspot-Listen und Touristenempfehlungen, sondern Weltgeschichten mit literarischem Potential. Damit war die Legende geboren: die elegant mattierten Seiten des Magazins, das in diesem Jahr endlich wieder in neuer Auflage auf dem internationalen Zeitschriftenmarkt erscheint, werden bis heute gefüllt von Leuten, die offenkundig ganz genau recherchiert haben, wie man das Leben auf stilvollste Weise genießt.

Von Beginn an hat Holiday mit so namhaften Fotografen und Journalisten wie Slim Aarons, Arthur Miller und Truman Capote zusammengearbeitet. Art Director Frank Zachary erfand mit seiner Idee des environmental portrait eines der wohl beliebtesten Artikelformate überhaupt, nämlich die Home Story. Die gibt es natürlich auch in der neuen Ausgabe: da blicken wir unter anderem in die herrlichen Räumlichkeiten des Fotografen-Duos Inez Van Lamsweerde und Vinoodh Matadin, wohnhaft in einem originell eingerichteten New Yorker Apartment mit alpenländischem 70er-Jahre-Einfluss.
Wie eine Holiday-Redaktionssitzung wohl abläuft, kann man sich richtig toll vorstellen, wenn man durch das Heft blättert: ein bisschen wie in einer Mad-Men-Episode muss das sein, nur mit Meerblick. So war es schon in den 50ern, der Blütezeit des Magazins, als sich die Redaktionsmitglieder als eine Art geheimer Club der schicken Dichter begriff: „Most of the editorial conferences and advertising meetings took place in restaurants and bars, at charity balls and on trips across the world, with the Martinis flowing freely“, erzählt Julien Neuville in seinem Rückblick auf die Holiday-Historie, nachzulesen im aktuellen Heft.„Every Friday the club would enter a private second-floor suite in the St. Regis for cocktails, then adjourn to a private dining room for a ridiculous meal.“ 

Alle Impressionen aus dem Heft über Garance Doré und holiday-magazine.com.Dass bei solch einem Lifestyle der Magazinmacher natürlich nur charmante Inhalte herauskommen können, ist keine Überraschung. Die brandneue Holiday überzeugt mit herrlichen Editorials, wie jener Fotostrecke vor der entrückten Kulisse eines kalifornischen Motels, oder so subjektiv wie atmosphärisch geschilderten Reiseberichten, z.B. jener Geschichte von einem dreitägigen Ausflug nach Ibiza, in der Arthur Dreyfus den Partykult der Insel als eingestaubte Illusion enthüllt. Allein dieser Text geht über zehn Seiten; den liest man nicht mal eben in der S-Bahn. Und so gleicht das ganze Heft einer papiergewordenen Aufforderung zum stilvollen Genuss – einer Einladung, die Banalitäten des Alltags hinter sich zu lassen, das verdammte Telefon endlich auszuschalten, und sich, ganz so wie im Urlaub, mit malerischen Bildern und Erzählungen in die schöne weite Welt zu träumen.

Das Holiday Magazine gibt es z.B. bei Do you read me!? in Berlin und online zu kaufen.