Meine gute Freundin L. hat ein wirklich schönes Auto. Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Autos, aber immer wenn ich L. treffe, wird mir schmerzlich bewusst, wie viel Lebensqualität so ein Fahrzeug doch verheißen kann. Erst gestern waren L. und ich im Café verabredet. Wie üblich kam ich zu spät.
L. ist immer pünktlich, aber das wäre ich auch, hätte ich ein Auto (also, denke ich mal). L. saß seelenruhig auf dem Trottoir und sonnte sich. Diagonal über der Bordsteinkante und garantiert verboten parkte die Karre auf dem Bürgersteig. Orangerot leuchtete der Lack im Sonnenschein. So verwegen parkt auch nur L. – und jene coolen Banditen in 80er-Jahre-Actionkomödien, die immer Wichtigeres zu tun haben, als einen Parkschein zu ziehen. Auf der Stelle wurde ich wieder neidisch: ein Bandit dieser Sorte wollte ich nämlich auch immer schon mal sein. Heutzutage würde das sogar noch mehr Spaß machen als in den 80er Jahren: moderne Autos sind schließlich fast immer mit einer tollen Musikanlage ausgestattet, zu deren Bässen man sich noch viel banditenmäßiger durch den Verkehr schlängeln kann, und das bringt mich zum eigentlichen Kern dieses Artikels: nach eingehender Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das Auto der einzig wahre Ort zum Musikhören ist.
Von meinem Vater, der mit seinen Wohnzimmer-Lautsprechern und Keith Jarretts neuer Platte gerne mal das Haus zum Beben bringt, habe ich gelernt, dass gute Musik laut gehört werden muss. Wer keine schalldichten Wände am Waldrand sein Eigen nennen darf, ist mit diesem Tipp allerdings nur bedingt gut beraten. Meine Berliner Nachbarn maulen ja schon, wenn ich zum Einschlafen Chilly Gonzales‘ Klaviermusik lausche. Im Auto kann man dagegen ungestört aufdrehen, so viel und vor allem auch was man will. Heimlicher Justin-Timberlake-Crush? – (Hier, ich!) – Mit „Sexy Back“ ins Auto setzen, Sonnenbrille auf die Nase, alle Fenster runterkurbeln und mit Tanzverrenkungen hinterm Steuer die anderen Fahrer belustigen.
Zweitens ist routiniertes Autofahren ja bekanntlich eine herrlich monotone und tiefenentspannende Tätigkeit. Weil man sich dabei tunlichst auf den Verkehr zu konzentrieren hat, werden alle anderen Gedanken an Pflichten, Verabredungen und Fristen ausgeblendet, übrigens ihrerseits fast immer Aktivitäten, zu denen man aus Konzentrationsgründen keine Musik hören kann. Das Auto wird dagegen zum idealen Raum der seichten Unterhaltung: zu Gangeinlegen und Gasgeben ist gute Musik schließlich ein unschlagbarer Kompagnon.
Vor allem hat Musikhören im Auto jedoch etwas ganz eindeutig Dramatisches, Theatralisches, ja gerade zu Hollywoodreifes. Viele Filmfiguren setzen sich in emotionalen Hoch- oder Tiefphasen gerne erstmal ins Auto, drehen die Lautsprecher auf und fahren drei Stunden lang zu Whitney Houston oder Earth Wind & Fire über den Highway. Überhaupt gibt es ja bestimmte Musikstücke, die man eigentlich nur beim Autofahren hören kann. Deep-House-Prinzessin Nora En Pure kann ich beim Entspannen auf dem Sofa jedenfalls überhaupt nicht ertragen. Hinter der glänzenden Windschutzscheibe eines BMW Z8, bestenfalls mit Blick auf eine nächtlich illuminierte Skyline oder Autobahnbrücke, ist das hingegen ein ganz anderes Thema. Zu Gramatik’s federleicht groovendem Stück „Sumthin'“ setzt man sich am besten auf die Ladefläche eines weißen Pick-Ups und fährt damit in der Nachmittagssonne durch Mecklenburg-Vorpommern. Und Diggys’s brandneuer Song „My Girl“ mit heruntergekurbelten Fenstern in L.’s orangerotem Automobil: Banditenstyle at its best. Vielleicht leiht sie es mir ja mal aus.