Das Statement-Dessert

HEIß WIE FRITTENFETT: CHURROS MIT EIS, DIE NEUE TRENDSPEISE 


Breaking news: die Amerikaner haben einen neuen Foodtrend. Die kulinarische Entdeckung des Jahres kommt aus Los Angeles und trägt den Namen churro ice cream sandwich. Wer Spanier ist, wird wissen, dass es sich beim Grundmodell dieser Speise tatsächlich keineswegs um eine Innovation handelt, schließlich ist der churro, gezuckertes Fettgebäck und von Wikipedia liebevoll „länglicher Krapfen mit sternförmigem Querschnitt“ getauft, spanisches Nationalgericht, das seit Jahrhunderten mit Vorliebe am Neujahrsmorgen verspeist wird. Die Amerikaner wiederum sind Meister im Erfinden von Hybrid-Essen, das bewies schon der Hype um den New Yorker Cronut, jenes verwegene Zwitterwesen aus altbekanntem Croissant und Donut, über das sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete.

Nun stehen die Kalifornier Schlange bei Churro Borough, dem Geburtshaus des churro ice cream sandwich – Milcheis zwischen zwei spanischen Frittenkeksen. Was im ersten Moment erstaunlich unmodisch klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Trend, den wir durchaus hätten kommen sehen können – und zwar aus zweierlei Gründen:

1. Die Form. Das churro icecream sandwich passt allein schon aus optischer Sicht zur langen Reihe vorangegangener Foodtrends – das Ding könnte man je nach persönlicher Vorliebe nämlich auch für einen aufgeblasenen Macaron oder einen Burger mit Puderzucker halten. Mit der knusprigen Frittenhülle und der farbenfrohen Eisfüllung ist das churro ice cream sandwich zudem ein echter eyecatcher, geradezu ein Statement-Dessert, freilich kein unerhebliches Kriterium für die Karriere modischer Speisen. Beispielhaft lässt sich diese These am gesellschaftlichen Aufstieg von Gerichten wie Sushi, Popcorn und Cupcake belegen. Wie jedes Fingerfood ist der churro zudem schwierig zu verzehren, die unvorteilhafte Optik des mit Frittenfett und tropfender Eiskugel kämpfenden Essers steht also konträr zur besonders attraktiven Erscheinung des Essens selbst – ein Phänomen, dass wir auch vom Burgertrend kennen.

2. Der Kontext. In Zeiten transatlantischer Diskussionen zum Nährwert von Kuhmilch und Kohlenhydraten, veganen Supermärkten an jeder Straßenecke und exklusiven 5-Tage-Saftdiäten im Wert von mehreren hundert Euro musste die Blase ja irgendwann platzen – im Stillen hegt nämlich jeder noch so überzeugte Gemüsemann gelegentlich mal ein geheimes Verlangen nach kulinarischer Unvernunft. Das churro ice cream sandwich kommt da zeitlich sehr gelegen. Das Leben ist schließlich eine ewige Achterbahn, wir können nicht jede Saison Grünkohl essen. Der ist aktuell die Lieblingsspeise New Yorker Moderedakteurinnen, doch langfristig gesehen werden die von ihren Kale-Smoothies und Kale-Chips auch nicht satt werden. Seit Kurzem gibt es sogar innocent ice pops mit kale flavour, unschuldiges Wassereis mit Grünkohlgeschmack. So snackt man heute im VOGUE-Office.

„Innocent ice pops“ – Wassereis aus Gemüse, der Konkurrenztrend zum churro ice cream sandwich

Klar, dass das churro ice cream sandwich gegen solcherlei Blödsinn (Gemüseeis! Also bitte. Wenn schon Eis, dann richtig) nur glänzen kann. Da ist so eine mystische Aura um dieses fett- und zuckertriefende Gebäck, zum Anbeißen sieht es aus, wie eine Spezies aus dem Honigparadies, wo Zuckerwatte an Bäumen wächst und Coca Cola in Bächen fließt. Anfassen würde es freilich keiner, viel zu ungesund und schlecht für den Zahnschmelz, obwohl, ist ja schon verführerisch, so ein Leckerbissen aus lauter bösen Zutaten, Mehl, Butter, Zucker, Milch…

Das churro ice cream sandwich ist der Pelzmantel der kulinarischen Welt. Alle sind dagegen und wären im Geheimen doch vielleicht gern dafür. Öffentlich will ja heutzutage keiner seinen Hang zu Hedonismus zugeben. Alle essen bio und vegetarisch und fahren Fahrrad und machen Urlaub am See, aber nachts, da schleichen sie doch in die Küche und langen heimlich ins Nutellaglas. Die Amerikaner sind bei diesem Lifestyle bekanntermaßen Vorreiter: nirgends kann man sich unvernünftiger ernähren als auf amerikanischem Boden, und doch inszeniert man sich von New York bis L.A. immer wieder gern als besonders gesundheitsbewusste Fitnessnation. Zum Hype des churro ice cream sandwich mussten deshalb auch gleich eine Reihe hochdotierter Ernährungswissenschaftler zu den nutritional facts der Süßspeise befragt werden. Das Fazit des kalifornischen Diätberaters Alyse Levine ist so sympathisch wie vorhersehbar:

„I see no problem with people enjoying these desserts occasionally.“

Toll! Das ist mal ein Ratschlag. Mehr als ein churro ice cream sandwich kann wahrscheinlich sowieso keiner essen, ohne anschließend mehrere Wochen davon Abstand halten zu wollen. Dieser Aspekt erhöht schlagartig die Attraktivität der Süßspeise – je verbotener und exklusiver, desto begehrenswerter. Mit diesen Merkmalen – optisch ansprechend, garantiert vitaminfrei, frittiert, gezuckert, das Gegenteil von Grünkohl  und trotz alledem irgendwie elegant, weil nur in Maßen zu konsumieren wie ein Paar Krokosandaletten von Yves Saint Laurent – ist für den churro ice cream sandwich der Weg zum Olymp der Modespeisen geebnet. Ein barocke Verführung in Zeiten kulinarischer Unschuld: so avantgarde war Frittenfett selten.