Musikrubrik #34: Ich bin jetzt in New York

UND ZIEMLICH SPRACHLOS VOR EUPHORIE


Ich bin jetzt in New York. Keine 48 Stunden sind vergangen, seitdem ich aus dem Flugzeug stieg, und schon jetzt träume ich heimlich von einer Green Card. Heute morgen bin ich um halb sechs aufgewacht. Der Jetlag hält sich hartnäckig, ebenso wie die überraschende Spätsommerhitze, bei der sich die Bettruhe in einer 10-Quadratmeter-Butze ebenfalls eher schwierig gestaltet. Weil ich nicht mehr schlafen konnte, habe ich meine Turnschuhe angezogen und bin laufen gegangen. Die South 6 Street im Süden von Williamsburg führt hinunter zum East River. Über meinem Kopf donnern Autos und Züge über die Williamsburg Bridge. Hinter einem Brückenpfeiler erspähe ich das Empire State Building. Ich laufe die Kent Street Richtung Norden hinab, parallel zum Fluss. Bei der Music Hall biege ich links ab. Laufe an einer Soul Cycle Filiale vorbei, dort, wo man für 32 Dollar pro Stunde die New Yorker Trendsportart Fahrradfahren mit Bewusstseinserweiterung ausprobieren kann. Und stehe plötzlich direkt am Wasser. Vor mir erhebt sich die Skyline der Stadt.

Chicago gilt als Geburtsort des Wolkenkratzers. In Dubai steht das höchste Haus der Welt und Hong Kong ist die Stadt mit den meisten skyscrapers von allen – aber keine Metropole hat eine Skyline von solch erhabener Eleganz und unübertrefflicher Schönheit zu bieten wie New York City. Der Anblick macht sprachlos, immer wieder, denn all die Hochhäuser, die dort dicht gedrängt im aufgehenden Sonnenlicht funkeln, verkörpern genau das, was New York seit Jahrhunderten so begehrenswert macht: das Streben nach Oben, eine schier endlose Dynamik, das Greifen nach den Sternen, diese unbändige Euphorie, von der man in New York unaufhaltsam mitgerissen wird. Euphorie für was? Warum macht diese Stadt so gute Laune? Warum New York?

Jetzt, wo ich endlich hier bin, um für ein Semester an der New York University Kunstgeschichte und Politikwissenschaften zu studieren, müsste mir die Antwort doch eigentlich auf der Zunge liegen. Warum bin ich hier? Warum nicht in Paris, Istanbul, Beirut, Kapstadt, Kopenhagen? Ist es meine permanente Rastlosigkeit, die mich in eine Stadt getrieben hat, in der die über-koffeinisierte Zappeligkeit zum guten Ton gehört? Eine Stadt, die von Architektur, Parks, Aussichtspunkten, Filmschauplätzen über Restaurants, Coffeeshops, Rooftop-Bars, Streetfood Trucks bis zu Boutiquen, Kaufhäusern, Museen, Galerien und Bibliotheken ein so überforderndes Angebot zu bieten hat, dass man besser nur alle drei Tage schlafen gehen sollte, um auch ja nichts zu verpassen?

So viel Großartigkeit in einer einzigen Stadt, so viele Möglichkeiten, das alltägliche Leben zum glitzernden Abenteuer werden zu lassen – all das elektrisiert ungemein, selbst wenn man noch mit dem Jetlag zu kämpfen hat. Ob man sich je an die grenzenlose Energie, die in New York sprudelt, gewöhnen kann? Ob man irgendwann erschöpft zusammenbricht unter dem Druck, nichts verpassen zu wollen? Ob das selige Lächeln, das sich seit meiner Ankunft auf meinem Gesicht einzementiert hat, irgendwann einfrieren wird, weil auch New York seine vielen düsteren Ecken nicht verstecken kann? Momentan kann ich mir nichts von alledem vorstellen. Ich fühle mich so heiter und kraftvoll wie ein junges Fohlen auf Wandertag. Ich kann gar nicht still stehen vor lauter Freude darüber, endlich hier zu sein, und das für ein ganzes Semester.

Warum New York?  Was macht diese Stadt mit mir? Was macht diese Stadt ultimativer als alle anderen? Für eine ausdifferenzierte Erkenntnis werde ich wohl noch ein bisschen brauchen. Momentan konzentriere ich mich darauf, bei meinen euphorischen Luftsprüngen nicht aus Versehen vor ein gelbes Taxi zu stolpern. Für die musikalische Untermalung meiner New Yorker Kribbeligkeit gibt es deshalb jetzt erstmal das Musikrubrik #NYC Spezial. Mit besten Grüßen aus’m Big Apple!

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