Ist Rauchen immer noch cool?

ODER WAR ES NOCH NIE UNCOOL?

Was würde Holly Golightly eigentlich in der Hand halten, wenn sie nicht rauchen würde? Ich habe mich das beim Anschauen von „Breakfast at Tiffany’s“ oft gefragt, aber mir ist für ihren Glimmstängel einfach kein Alternativ-Utensil eingefallen. Es gibt ja auch wenig, was man eben so ohne besonderen Nutzen in der Hand halten kann und das einen trotz der totalen Nutzlosigkeit so ausnehmend charmant aussehen lässt. Die Zigarette hat keinen Nutzen, sie schadet nur, und doch steht sie Holly ganz ausgezeichnet, ebenso wie sie in den 60er Jahren anscheinend allen Leuten gut stand: Faye Dunaway in „Bonnie & Clyde“, Paul Newman in „Der Clou“, Marlon Brando, George Peppard, Marilyn Monroe, Marlene Dietrich. Alle Leute, die ich jemals toll fand, waren Raucher. Selbst habe ich nie geraucht, und obwohl ich mir vorgenommen habe, es auch in Zukunft bei dieser Praxis zu belassen, wird mich wohl Zeit meines Lebens die Frage beschäftigen, ob ich mich äußerlich und charakterlich zu einem anderen Menschen entwickelt hätte, ob ich vielleicht ein kleines bisschen mehr wie Holly Golightly oder Marlon Brando geworden wäre, hätte ich jemals mit dem Rauchen angefangen.  Worin besteht dieser unvergleichliche Charme des rauchenden Menschen?

Wir leben nicht mehr in den Sechzigern, der prominente Ganove mit Fluppe im Mundwinkel, die elegante Diva mit Nuttenstängel zwischen den Fingern, sie sind ausgestorben. Promis machen heute Yoga, sie schreiben Kochbücher, trinken grüne Smoothies und engagieren sich für Kinder in Afrika. Sie sind gute Vorbilder, denn sie wissen: taucht in irgendeiner Klatschzeitschrift doch mal ein Bild von ihnen mit Augenringen und Zigarette auf, gibt es gleich böse Schlagzeilen. „XY schon wieder am Abgrund“ oder dergleichen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der rauchende Mensch keine glänzende, elegante Ikone mehr, sondern ein Rebell mit schlechten Angewohnheiten. Seit Jahrzehnten wird den Leuten gepredigt, Nikotin sei gesundheitsschädigend, „Rauchen schadet Ihnen und Ihrer Umwelt“, „Rauchen kann tödlich sein“.

In der 6. Klasse machten wir einen Ausflug ins Universitätsklinikum Eppendorf. Dort schenkte man uns T-Shirts mit der Aufschrift „Nichtrauchen ist cool“, anschließend wurden Schockbilder von amputierten Raucherbeinen und tumorverseuchten Lungenflügeln gezeigt. Unter meinen Mitschülern muss ich allerdings der einzige Mensch gewesen sein, dem die Aussicht auf ein Raucherbein tatsächlich abstoßend erschien. Mit spätestens 14 fingen alle an zu rauchen, nur ich nicht. Der Spruch „Nichtrauchen ist cool“ kam mir vor wie der blanke Hohn. Wenn um Dich herum alle Leute rauchen, nur Du nicht, dann hast Du bestimmt nicht das Gefühl, cooler zu sein als alle anderen. Dann fragst Du Dich: warum muss ausgerechnet Rauchen so cool sein? Warum nicht Stricken? Oder Leichtathletik?
Warum gerade Rauchen?

„Was macht die Zigarette“, fragte die FAZ neulich, „diese zerbrechliche Papierröhre mit Tabakfüllung, im 19. Jahrhundert als Resteverwertung in der Zigarrenproduktion erfunden, nur so robust gegen die weitgehende gesellschaftliche Ächtung und staatliche Eingriffe aller Art?“ Den Rauchern von heute mag, anders als Marilyn Monroe damals, längst klar geworden sein, dass Tabakkonsum gefährlich ist. Der Zigarettenabsatz hat sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren halbiert. Allerdings liegt er seit einem Jahr auch konstant bei 80 Milliarden Stück, ohne weiter zu sinken. 80 Milliarden gerauchte Zigaretten pro Jahr – und Rauchen soll uncool sein? Als ob.

Ich bin auf eine rauchfreie Schule gegangen, was die Raucher allerdings längst nicht zu Außenseitern machte. Im Gegenteil: cool waren die, die in der Pause vorm Schultor standen und Marlboro qualmten. Ich stand da auch, schließlich rauchten alle meine Freunde, und ich wäre vereinsamt, hätte ich mich nicht freiwillig dem Passivrauchen ausgesetzt. Wenn ich heute mit Freunden ins Restaurant gehe, bin ich oft die einzige, die nach dem Essen nicht auf eine Zigarette vor die Tür geht. Wer ist da der Außenseiter? Als Nichtraucher bist Du immer der Idiot, weil die Raucher nach wie vor in der Überzahl sind. Mit Rotweinglas in der einen und Glimmstängel in der anderen Hand stehen sie auf Terrassen und Balkonen, wo sich in blauer Dunstwolke anscheinend richtig gut Konversation betreiben lässt. Rauchen ist kommunikativ – jedenfalls solange Raucher auf Raucher trifft. Viele langjährige Liebesbeziehungen beginnen mit diesem Satz: „Hast Du Feuer?“

„Stört’s Dich, wenn ich rauche?“ lautet das Gegenstück dazu – eine Frage, die Freundschaften entzweien könnte, wenn die Nichtraucher nicht so kulant wären. Natürlich stört es mich! Würde ich Zigarettenrauch schön finden, würde ich ja selbst rauchen! Aber so etwas kann man einem Raucher natürlich nicht sagen. Einem Süchtigen sein Suchtmittel zu verbieten ist schließlich alles andere als förderlich für die gute Stimmung. Also lässt man sich selbst als überzeugter Nichtraucher schön vollqualmen, auch deshalb, weil man nicht wie der Spießbürger dastehen will, der gerne auf seine Gesundheit achten, die Atemwege freihalten und prinzipiell immer alles richtig machen will. Der Raucher macht nicht alles richtig. Er ist nicht perfekt, denn er raucht – aber gerade diese Anti-Haltung ist es ja, die ihn so sympathisch macht. Die braven Bürger fahren Fahrrad und Elektroauto, sie trinken Bio-Rotwein und laktosefreie Milch, sie buchen Ayurveda-Urlaube, machen Detox-Kuren und züchten ihre eigenen Tomaten auf dem Balkon. Der Raucher ist kein braver Bürger. Er sieht sich als passionierten Lebensgenießer, er lebt im Jetzt und denkt nicht an Morgen, er ist lässig, er widersetzt sich der bürgerlichen Moral, er ist verwegen. Er ist cool.

Aber ist die Zigarette überhaupt noch ein modisches Accessoire? Eine elegante Frau kann mit Glimmstängel zwischen den Fingern durchaus sinnlich, weil subtil verrucht aussehen. Ein rauchender Mann ist der Ganove, der Gauner, dessen unwiderstehliche Lässigkeit sich wie bei allen Helden gerade dadurch definiert, dass er auch die größten Hürden noch mit Fluppe im Mundwinkel überwindet. Der Raucher ist ein entspannter Typ, jedenfalls solange die Sucht gestillt ist. Es gibt auch Berufsgruppen, in denen die Zigarette fast zur Uniform gehört. Kellner und Hotelangestellte rauchen, um zwischen all der Hektik einen guten Grund zu haben, für fünf Minuten Ruhe mal nach draußen gehen zu dürfen. Der Journalist raucht, weil der blaue Dunst zum Image des Denkers ebenso dazu gehört wie das Rotweinglas und der Bücherstapel neben dem Klo.

Die Grande Dame, der Cowboy, der Kellner, der Journalist: sie verteidigen das Rauchen mit Verweis auf seine ästhetische Komponente. Aber es ist ein schmaler Grat, auf dem man da wandelt. Denn ein rauchender Mensch kann auch schnell primitiv aussehen – nämlich dann, wenn man ihm anmerkt, dass das Rauchen kein Genuss, sondern eine Sucht ist. Und die Zigarette ein glühender Stängel, an man sich in Situationen größer Unsicherheit noch mit letzter Kraft festklammern kann. In Nachtclubs wird sehr viel geraucht. Warum ist das so? Weil Nachtclubs ganz spezielle Orte gesellschaftlicher Zusammenkunft sind, deren besondere Stimmung sofort verpufft, sobald einer das Licht anmacht oder Dir beim Tanzen plötzlich den Rücken zukehrt. Wir wollen in einer Diskothek optimal performen. Das setzt viele Leute unter Druck. In ihrer Unsicherheit greifen sie zur Zigarette, denn so haben sie wenigstens was zu tun, wenn sie auf einmal ganz allein auf der Tanzfläche stehen oder der Alkoholpegel zurück auf ein vernünftiges Niveau gesunken ist, auf dem man sich plötzlich fragt, was man hier eigentlich macht, mitten in der Nacht, zwischen fünfhundert schwitzenden Menschen. Ist das anstrengend! Erst mal eine rauchen.

Viele Leute rauchen, weil sie meinen, sich damit gut zu fühlen. Die einen, weil sie finden, dass es zu ihrem Image passt. Die anderen, weil es ihnen hilft, Schüchternheit und Verunsicherung zu überspielen. Allen Rauchern gemein ist, dass sie sich dem warnenden Zeigefinger der Medizin und des vorbildlichen Bürgertums widersetzen. Rauchen ist heute so verpönt, dass es gerade deshalb wieder schick ist. Und ohnehin ist der Mensch ja so gestrickt, dass er denkt: kann sein, dass die anderen an Lungenkrebs sterben, aber mir wird das schon nicht passieren. Ich bin wie Helmut Schmidt. So lautet das Motto der qualmenden Rebellen, und ich frage mich, ob es nicht auch etwas gibt, womit die Nichtraucher ein rebellisches Statement setzen könnten, ohne dafür zur Zigarette greifen zu müssen. Ich würde auch gerne weniger nach braver Bürgerin aussehen. Vielleicht sollte ich mehr Steak essen? Jedes Mal ein Gläschen Schnaps trinken, wenn die anderen rauchen? Oder nach Junos Vorbild anfangen, Pfeife ohne Inhalt zu paffen? Das wäre doch mal ausgefallen. Denn so viel steht fest: Zigarettenqualm mag zwar bei bestimmten Leuten schick aussehen, entspannend wirken und zwischen Rauchern kommunikationsstiftend sein. Aber originell ist er ganz bestimmt nicht.

Header photo: © Adam Katz Sinding