Frühstück im Bett

EIN MOMENT DES IDYLLISCHEN HEDONISMUS

Foto: Jeanne Damas

Die Nahrungsaufnahme im Bett hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch an Beliebtheit verloren. Essen ist heute eine öffentliche Tätigkeit, der man sich besser dort widmet, wo einem andere dabei zuschauen können. Als erster dieses oder jenes neue Brunch-Café ausprobiert zu haben gilt mittlerweile als eine Art Volkssport. „Bei X habe ich neulich die besten Eggs Benedict gegessen“, erzählt man sich, „hast Du nicht das Bild auf meinem Instagram-Account gesehen?“ Es will ja keiner zugeben, aber mal ehrlich, warum geht der besserbürgerliche Großstädter so gerne ins Restaurant? Weil er da ein Publikum für sein zur Schau gestelltes Wohlsein findet. Ich kann diesen Stolz – guck mal, wie gut es mir geht! Ich habe eine Tasse Kaffee, ein pochiertes Ei, einen Tisch in der Sonne und drei gute Freunde, die mit mir frühstücken! – gut nachvollziehen, jedenfalls werde ich persönlich jedes Mal grün vor Neid, wenn ich Sonntagmorgens auf dem Weg vom Zeitungskiosk an vollbesetzten Cafés vorbeikomme und mich so gern dazu setzen würde, aber ach, das Geld ist zu Ende und der Monat noch nicht, also muss ich nach Hause gehen und Müsli essen.

Essen in öffentlicher Gesellschaft ist die einfachste Art von Protz. Im Vergleich dazu sieht das Frühstück im Bett natürlich ziemlich ärmlich aus. Im Bett zu essen hat ja auch irgendwie etwas Kränkliches. Wer Fieber hat, kann sich nicht bewegen und muss die Nahrungsaufnahme daher liegend betreiben. Wer kein Fieber hat und trotzdem im Bett isst, mit dem scheint offenkundig etwas falsch zu sein. Zu Lebzeiten von Dionysos (der, wie sich der aufmerksame Leser erinnert, ja auch den Diwan kultiviert hat) oder Marie Antoinette mag das Frühstück unter Laken noch beliebt gewesen sein. Auch in Helmut Dietls „Kir Royal“ von 1986 frühstückt Boulevard-Reporter Baby Schimmerlos im Bett. Dazu trinkt er Champagner und speist von einem eigens für Horizontalmahlzeiten vorgesehenen kleinen Tischtabletthybrid. Dieses Utensil, das in der Möbelfachsprache Betttablett heißt, ist in deutschen Haushalten heute ungefähr so häufig anzutreffen wie eine Durchreiche. Oder eine Hollywoodschaukel. Ich kenne niemanden, der ein Betttablett besitzt. Es scheint ausgestorben zu sein, weshalb davon auszugehen ist, dass auch das Frühstück im Bett eine vergessene, wenn nicht sogar verschmähte Praxis geworden ist.

Das Problem des Matratzenmahls wurzelt in seiner Zwiespältigkeit. Auf der einen Seite ist es eine private Angelegenheit, auf der anderen Seite ist es tatsächlich gar nicht kränklich, sondern, ganz im Gegenteil, sehr hedonistisch. Ich habe die Leute, die an der Hotelrezeption gleich bei der Ankunft anmelden, dass sie Frühstück und Frankfurter Allgemeine bitte aufs Zimmer geliefert haben möchten, immer heimlich beneidet. Haben die das gut, habe ich gedacht, dürfen wie Julius Cäsar im Bademantel frühstücken. Aber erst neulich habe ich mich mit einem unterhalten, der zweifelt, ob die Im-Bett-Frühstücks-Szene von Helmut Dietl heute noch so gedreht werden könnte. Während Schimmerlos im Pyjama Champagner schlürft, macht Freundin Mona seine Spesenrechnung, und eine Putzfrau wischt um den im Bett thronenden Hausherrn herum. Früher fand man das lustig. Heute würde eine solche Sendung Günther Jauch zu einer Talkshow zum Thema „Armes Deutschland, reiches Deutschland“ inspirieren.

Benjamin von Stuckrad-Barre hat Ex-Bürgermeister und Hedonist vom Dienst Klaus Wowereit einmal als „Im-Bett-Frühstücker“ porträtiert. Wowereit ist ein Mensch, der seinen Hang zum Lebensgenuss gern zur Schau gestellt hat. So sahen ihn die Bürger, bei Fashion-Week-Parties und auf luxuriösen Dinner-Einladungen. Ein Bürgermeister, der es sich gut gehen ließ. Aber was passierte hinter den Kulissen? Wowereit soll als Regierungschef ein knallhartes Arbeitstier gewesen sein. Mag sein, dass er gern im Bett frühstückte, aber wahrscheinlich studierte er dabei schon irgendwelche Akten, morgens um halb sieben. Bloß konnten ihm die Bürger dabei leider nicht zusehen. Deshalb hielten sie sich lieber an das Bild, das die Gala vom Bürgermeister vermittelte. Ob Wowereit abgewählt wurde zurückgetreten ist, weil dem bescheidenen Großstadtwähler sein demonstrativer Lebensgenuss nicht gefiel?

Möglicherweise wird mit dem Frühstück im Bett eine unzeitgemäße Faulheit assoziiert, etwas, das man sich heute einfach nicht mehr gönnt, weil Sonntagmorgens um halb zehn schon der nächste Pilates-Kurs ruft, oder man für ein besonderes schönes Besserbürgermöbel pünktlich zum Sonnenaufgang auf dem Flohmarkt auftauchen muss, oder weil sich ein Avocado-Brot halt schlecht im Bett essen lässt. Und laut Spiegel arbeitet mittlerweile jeder vierte Erwerbstätige auch am Sonntag – dem heiligen Tag des Frühstücks im Bett. Sind wir für die Horizontalmahlzeit einfach zu hyperaktiv geworden?

Ich persönlich halte mich aus Angst vor Leerlauf auch immer dauerbeschäftigt, und bin doch zugleich eine große Verfechterin des Frühstücks im Bett. Weil ich es mir so selten gönne, erhält es automatisch einen exklusiven Touch. Wird im Bett gefrühstückt, ist irgendwas besonderer als an anderen Tagen. Ich erhole mich da von den Menschen und habe trotz der Ungeselligkeit eine richtig gute Zeit. Und ist die intime Atmosphäre des Bettfrühstücks nicht auch ein wahrer Segen, eine Erholung vom permanenten Druck, ständig öffentlich sein Wohlbefinden demonstrieren zu müssen? Im Bett ist es schwierig, ein Instagram-Foto von seinem Essen zu machen. Man hat ja schon alle Hände voll damit zu tun zu vermeiden, dass die Marmelade nicht aufs Laken tropft. Das Frühstück im Bett ist ein Moment des sogenannten idyllischen Hedonismus – jener Art von Lebensgenuss, die ich mit keinem teilen muss.

Schönen Sonntag.