Der grillende Mann

EINE UTOPIE

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Wenn der Sommer Deutschland erreicht, die Nation in wohliger Trägheit vor sich hindämmert, wenn staubige Stille über dem Asphalt schwebt, unterbrochen von fernem Freibadkindergeschrei und Zikaden, die in der abendlichen Hitzeglut umherschwirren, wenn man mit Schweißperlen auf der Stirn und lauwarmer Zitronenlimonade im Glas auf dem Balkon dahinschmilzt, und einem dieser Geruch nach verkohlten Würstchen in die sonnenverbrannte Nase steigt, wird es Zeit, über eines der letzten Rätsel der Gleichberechtigungsdebatte nachzudenken: Den grillenden Mann.

Warum grillen eigentlich immer nur die Männer? Wieso nie die Frauen? Ein Thema, dem sich die Tageszeitungen gerade zum Sommer immer wieder gerne annehmen. Die Freiluftsaison bringt schließlich nicht nur Arschgeweihe und Schweißflecken zum Vorschein, sondern auch den Urinstinkt des Menschen, seine Nahrung mit den rohen Mitteln der Natur auf offener Flamme zuzubereiten – auch wenn er das Fleisch nicht mehr selbst erlegt, sondern fertig mariniert und vakuumiert im Supermarkt kauft. Das Grillen selbst aber steht in der Tradition des Neandertalers: am Rost steht der Mann. Mann und Grill gehören zusammen wie Frau und Nagelstudio. In einer Umfrage des Discounters Lidl gaben 80 Prozent der 1600 befragten männlichen Griller an, nur ungern die Grillzange aus der Hand zu geben. 13 Prozent sagten aus, überhaupt niemand anderes neben sich am Rost zu dulden – schon gar keine Frau. Gleich habe ich das Bild eines bierbäuchigen, rotgesichtigen Typen vor Augen. Sein Grill-Territorium hat er mit einem Zaun aus geleerten Bierflaschen abgesteckt. Die Frau nähert sich. „Rein!“, knurrt der Mann. „Raus“ kann er nicht rufen, denn man ist ja schon draußen.

Auf jeden Fall fühlt sich der grillende Mann bedroht. Damit ist er viel mehr als nur eine Klischeefigur des Sommers – nämlich ein Synonym für die veränderten Machtverhältnisse der Geschlechter in einer Welt, in der der Mann zunehmend mit dem Rücken zur Wand steht, während ein wachsendes Heer emanzipierter Frauen mit Fleiß und Kampfgeist in einst männlich dominierte Gebiete vordringt. Dem Mann bleibt zur Verteidigung nur eines: die Grillzange.

So apokalyptisch beschreibt jedenfalls die Süddeutsche Zeitung das Phänomen des grillenden Mannes. Phänomen deshalb, weil es doch irgendwie verwunderlich ist, dass immer nur der Mann am Grill zu stehen scheint, während die alltägliche Nahrungszubereitung in fast allen Kulturen der Welt Frauensache ist. Zumindest in der Küche regiert das weibliche Geschlecht. Warum darf es nicht am Grillrost stehen? „Frauen am Grill“, schreibt Wolfgang Lechner in der ZEIT, „das hat immer etwas von Ärmlichkeit – oder von Frauenfußball.“ Die Süddeutsche geht das Problem akademischer an und zitiert einen Herrn Hirschfelder von der Universität Regensburg: „Für den Mann ist das Grillen eine Art postmoderner Reflex. Im Zuge der Emanzipation der Frau hat er evolutionäre Rechte eingebüßt. Machtverlust bedeutet immer auch ein Trauma. Im Grillen hat der Mann ein Refugium.“ Und weiter: „Männer klammern sich an ihre Grillzange, weil Frauen in so vielen anderen Lebensbereichen bereits das Zepter an sich gerissen haben.“

Stimmt das wirklich? Sind das die Gedanken, die den Mann beschäftigen, wenn er mit Bier in der Linken und Zange in der Rechten am Feuer steht? Fürchtet er tatsächlich um die Kraft seiner Männlichkeit – um sie dann ausgerechnet am Grillrost zu verteidigen?

Ich befrage ein paar Männer. „Der Grill ist kein Ort, an dem ich mich verwirklichen will“, sagt mein Freund, der gar behauptet, noch nie in seinem Leben gegrillt zu haben. „Solange das Fleisch hervorragend schmeckt, ist mir herzlich egal, wer grillt“, sagt Schulfreund Paul. „Ich würde ja gerne in der Küche kochen“, sagt mein Vater, „aber deine Mutter lässt mich nicht. Sie sagt, ich würde nur Dreck machen. Die Küche ist das Reich der Frau. Der Mann, das Trampeltier, wird nach draußen verbannt.“ Mein Vater ist betrübt. Er klingt nicht gerade so, als sei das Grillen für ihn eine Notwendigkeit – oder eine Reaktion auf die vermeintliche Dominanz der Frauen.

Überhaupt geht einem ja auch schnell der Atem aus, wenn man mal so schaut, wo Frauen heute tatsächlich „dominant“ sind. Die Führungspositionen einflussreicher Wirtschaftskonzerne sind immer noch zum Großteil von Männern besetzt. In technologischen Berufsfeldern ist in Europa nur einer von drei Arbeitnehmern weiblich. Frauen bekommen für die gleiche Leistung im Schnitt 22 Prozent weniger Gehalt als Männer. Und hier geht es nur ums Geldverdienen. Männer sind von Natur aus stärker als Frauen. Wenn sie über die Stränge schlagen, bezeichnet man sie gerne als Lebemänner, während Frauen mit dem gleichen Benehmen öffentlich als Schlampen denunziert werden – ein Wort, das für Männer nicht einmal existiert. Was Kim Kardashian neulich beim Glastonbury Festival passiert ist, könnte man einem Mann nie antun, selbst wenn man es wollte. Natürlich sind Frauen genauso clever und geschäftstüchtig wie Männer, sie können Großkonzerne führen, Millionärinnen werden und nebenbei auch noch Kinder kriegen. Frauen können vieles, was Männer können, und manchmal können sie es besser, so hat Jean Paul Gaultier es einmal gesagt. Männer können erfolgreiche Frauen bewundern – aber müssen sie Angst vor ihnen haben?

Das Bild, das die Süddeutsche vom grillenden Mann zeichnet, jenem furchtlosen Jäger, der der Frau das Essen nach Hause bringt, während sie die Kinder badet und den Salat wäscht, scheint jedenfalls ein Klischee zu sein, an das vor allem die Frauen glauben. Den SZ-Artikel hat Merle Sievers geschrieben. In der FAZ erklärt Sandra Kegel, wieso Frauen mehr grillen sollten. Im Spiegel spottet Silke Burmester über den weichen Profi-Griller mit Gasgrill und stellt ihm den „Primitiv-Griller“ gegenüber, von dem sie schwärmt, er sei ein „echter Mann“. Im Feinschmecker schreibt Judith Liere: „Er grinst selig und sieht dabei ein wenig dümmlich aus, doch er fühlt sich gerade männlicher als bei jedem Fußballabend mit seinen grölenden Kumpels. Der Mann grillt.“ Lieres Beobachtung nach weist der grillende Mann auffällige Ähnlichkeiten mit dem Steinzeitmenschen auf, er gibt tierische Geräusche von sich und benimmt sich im Großen und Ganzen ziemlich rückständig. Das passt natürlich gut zu der Theorie, der Mann grusele sich vor der Emanzipation der Frau.

Lauter Frauen also, die den grillenden Mann als „Feuerwehrmann, Ernährer und Entertainer in einem“ belächeln; die sich an der Vorstellung laben, der Mann am Grill sei ein zurückgebliebener Neandertaler, der laut mit seinen Kumpels grölt und die Zange schwingt, während sie sich im Hintergrund um die wirklich wichtigen Sachen (gesunde Beilagen, Tisch decken) kümmern. Der grillende Mann sei „postmodern-verunsichert“, will Judith Liere beobachtet haben. Aber Moment: wer ist hier „verunsichert“? Der Mann, der seinen Grill liebt? Oder die Frau, die aus dieser Leidenschaft „Verunsicherung“ herausliest? Ist es nicht eigentlich so, dass wir Frauen den Mann deshalb so gerne in die Schublade des Deppen stecken, weil wir uns damit endlich einmal überlegen fühlen können?

Grillen ist eine schöne Sache. Fleisch überm Feuer zu rösten bringt den Duft des Sommers mit sich wie reifende Pfirsiche und Sonnencreme. Grillende Menschen werden zu geselligen Rudeltieren, es geht ihnen weniger um den Geschmack, eher ums Gefühl. Grillen tut man jeden Sommer, weil sich der Sommer nicht wie Sommer anfühlen würde, wenn man es bleiben ließe. Warum lassen wir Frauen uns diesen Spaß eigentlich entgehen? Um meinen Vater von der Last zu befreien, ständig vom Tisch aufstehen und nach dem Fleisch sehen zu müssen, habe ich als Kind gerne am Grill gestanden. Grillen ist keine körperliche Schwerstarbeit, es erfordert keine männliche Physis. Frauen haben keine Angst vorm Grillen. Und auch der Mann, der den Grillrost zu Machterhaltungszwecken  als „Refugium“ für sich beanspruchen soll, ist tatsächlich eine Utopie.

Anstatt den Mann als emanzipationsfeindlichen Angsthasen zu verspotten, sollten wir Frauen lieber selbst mit dem Grillen anfangen. Und zwar nicht, um uns damit als besonders lässige Kumpelfrauen zu inszenieren. Sondern weil Gleichberechtigung bedeutet, dass kein Gebiet mehr der Macht des einen oder des anderen Geschlechts untersteht. Ich bin keine Kampffeministin, ich will den Mann nicht vom Grill vergraulen. Warum kann das Grillen nicht gemeinschaftliches Territorium sein? Tatsache ist: Meine Mutter lässt meinen Vater nicht in die Küche. Aber er lässt sie auch nicht an den Grill – vielleicht, weil er insgeheim doch wie Wolfgang Lechner denkt, dessen Herabstufung von Frauen am Grill und Frauenfußball in einem einzigen Satz doch reichlich unverschämt klingt. Frauen sind heute auf dem Vormarsch: sie wollen genauso viel Geld verdienen wie die Männer, genauso gute Jobangebote bekommen und genauso gut Fußball spielen. Sie wollen nicht mehr die Schwächeren sein – aber die Männer unterwerfen wollen sie auch nicht. Gleichberechtigung heißt Machtbalance. Ob wir die bei der Gehaltsverhandlung oder beim Grillen suchen, ist einerlei.