Photo by Tierney Gearon
Ständig geht mein Handy aus. Ich habe es noch gar nicht lange – mein Vater hatte eine Wette gegen mich verloren, sein Telefon war der Wetteinsatz – aber weil irgendwas mit dem Akku nicht stimmt, schaltet es sich bei 40 Prozent immer von selbst ab. So ein Telefon hätte ich auch verwettet. Zurzeit bin ich viel unterwegs, erst war ich in Mailand, jetzt in Paris. Ich verbringe auf diesen Reisen viel Zeit in Cafés, um mein Handy aufzuladen. Ich verbringe auch viel Zeit im Restaurant, und zwar allein, denn weil das alles „Dienstreisen“ (hihi!) sind, ich aber (noch) keinen persönlichen Assistenten habe, muss ich wohl oder übel allein essen.
Man sieht, ich kann mich vor lauter Luxusproblemen kaum noch retten.
Freitagabend war ich nach getaner Arbeit im Restaurant Liza, dem besten Libanesen von ganz Paris. Der Laden ist schweineteuer, aber auch saulecker. Pünktlich bei Betreten des Restaurants ging mein Handy aus. Die Tragweite dieses Problems werden meine Großeltern, die tatsächlich noch Bücher lesen und sich mit Menschen unterhalten, nicht nachvollziehen können. Für jemanden wie mich, der mit iPhone quasi zur Welt kam, sind mehr als 30 Minuten ohne Kontakt zur Internetwelt schwer vorstellbar. Klingt übertrieben? Ja, finde ich auch. Ich schüttele auch immer den Kopf, wenn ich in der U-Bahn eine Gruppe Fünfzehnjähriger sehe, von denen alle auf ihr Handy starren. Dabei gucke ich selbst alle zwei Minuten drauf.
Im Restaurant stellte ich fest, dass sich zu den Problemen Kaputtes Handy und Allein auf Reisen soeben noch ein drittes gesellt hatte: Langeweile. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal gelangweilt hatte. Langeweile entsteht ja dann, wenn man unfreiwillig einen bestimmten Zeitraum ohne Beschäftigung und Unterhaltung verbringen muss. Also zum Beispiel beim Warten auf den Bus, in irgendwelchen Ämtern, oder beim Kaffeetrinken mit der Großtante aus Bielefeld, die immer nur von ihren Katzen oder Richard Wagner redet. Oder dann, wenn man alleine im Restaurant sitzt. Für solche Fälle wurde das iPhone erfunden. Es hat die Langeweile ausgerottet. Aber eben so, wie wir aufgrund der Smartphone-Totalabhängigkeit heutzutage total aufgeschmissen sind, wenn das Telefon dann doch mal ausgeht und man den Weg zum Hotel plötzlich ohne Google Maps finden muss, sind wir ratlos, wenn das Dauerspaßgerät unerwartet den Geist aufgibt und man die Langeweile plötzlich konfrontieren, sich auf sie einlassen muss.
Als ich bei Liza saß, blieb mir nichts anderes übrig. Und was soll ich sagen: es war wunderbar. In diesen zwei handyfreien Stunden im Restaurant sog ich mehr Inspiration auf als in 30 Mailänder Modenschauen zusammen. Noch vor dem Hauptgang hatte ich sieben neue Ideen für Artikel. Ich amüsierte mich über die vier Businessmänner, die mich vom gegenüberliegenden Tisch mit einer Mischung aus Verwunderung, Gier und Misstrauen anstarrten. Ich genoss mein fünf Stunden geschmortes Lamm mit Pistazienreis mit besonderer Achtsamkeit, kaute jedes Reiskorn und schmeckte jedes Salatblatt, als wäre es mein letztes Mahl.
Und ich beobachtete das Geschehen am Nebentisch. Dort saß eine vierköpfige Familie, den Nasen nach zu urteilen waren es Libanesen. Mann und älterer Sohn sagten gar nicht, die Mutter guckte deprimiert, das Kleinkind, ein Junge von vielleicht 2 Jahren, schien fürchterlich gelangweilt. Er tat mir leid, in gewisser Weise waren wir ja Leidensgenossen. Auf seinem T-Shirt stand „I’m not good I’m super duper“. Eigentlich ein Unding, einen Menschen mit so viel positiver Energie und Selbstachtung in einer so lahmarschigen Tischgesellschaft auszusetzen. Zudem hatte er den entscheidenden Nachteil, in einem Hochstuhl angebunden zu sein. So konnte er nicht einfach aufstehen und das Badezimmer aufsuchen. Ich mache das in schönen Restaurants gern, es ist immer ein Erlebnis. Weil mir der kleine Mann leidtat, verzieh ich ihm, dass er die meiste Zeit wie am Spieß schrie, nach seiner Mutter schlug und Spuckeblasen fabrizierte. Sein vielleicht zehnjähriger Bruder blieb still und tat gar nichts, nicht mal essen. Er sah eher aus, als würde er meditieren. Vielleicht hatte er schon erkannt, dass Langeweile eigentlich was Tolles ist. Im Grunde ein Luxusproblem.