Macht Mode glücklich?

ODER IST DAS GAR NICHT IHR ZIEL?

Als ich vier Jahre alt war, kämpfte ich um einen Rock. Ich kämpfte mit allen Mitteln: Erst fing ich an zu quengeln, dann zu weinen, dann warf ich mich auf den Boden der Kinderboutique. Meine Mutter hatte mir einen praktischen blauen Matrosenrock für den Frühling kaufen wollen. Das Modell meiner Träume hatte Rüschen, war geblümt und eine Nummer zu klein. Wir verließen das Geschäft ohne Rock. Es war ein schwarzer Tag.

Bis heute frage ich mich, warum mir von den vielen Momenten meiner Kindheit ausgerechnet diese Szene so lebhaft in Erinnerung geblieben ist. Vielleicht war es das erste Mal, dass ich verstand, was Mode alles mit dir anstellen kann.

18 Jahre später verdiene ich mit der Mode mein Geld, als Journalistin. Ich schreibe auch noch über andere Sachen, aber die Mode ist eindeutig mein Thema. Auf diesem Feld kenne ich mich am besten aus. Ich verdiene in der Modebranche allerdings nicht nur mein Geld, ich gebe ihr auch viel Geld zurück. So albern es klingt: Die Mode kontrolliert meinen Alltag. Das Anziehen am Morgen ist ein tägliches Rätselraten. Wenn ich beim Schreiben nicht weiterkomme, schaue ich mir auf Vestiaire Collective Chanel-Sandaletten an. Ein gelungener Abend ist einer, an dem ich zuhause die britische Vogue im Briefkasten finde. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über Mode nachgedacht oder gelesen, die Mode an den Leuten auf der Straße oder an den Puppen im Schaufenster bewundert, Mode eingekauft oder auf einer geistigen Liste notiert habe.

Und obwohl es seit Jahren so geht, obwohl ich seit Jahren beteuere, Mode sei meine Leidenschaft, eine unterschätzte Kunst, ein Lebensgenuss wie Musik, Malerei oder gutes Essen, habe ich mich erst neulich zum ersten Mal gefragt: Macht Mode eigentlich glücklich?

Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr stelle ich fest: Sie tut es nicht. Und sie will es auch gar nicht.

In der ZEITmagazin Modekonferenz in Berlin sagte die MTV-Style-Moderatorin Wana Limar, anfangs habe sie eigentlich gar nicht in der Modewelt arbeiten wollen, weil ihr Menschen, die irgendwas mit Mode zu tun hätten, immer so unzufrieden erschienen. Auf der selben Veranstaltung wunderte sich Mytheresa-Chefeinkäufer Justin O’Shea darüber, dass die Leute bei den Modenschauen nie lächelten, sondern eigentlich immer genervt aussähen. Wie man denn bei etwas so Wunderbarem wie einer Modenschau so griesgrämig dreinschauen könne?

Vielleicht darf O’Shea als Einkäufer eines Luxusonlineshops gar nicht in Frage stellen, ob Mode glücklich macht. Denn dass sie unglücklich macht, ist das Geschäftsmodell seines Arbeitgebers. Mode ist nicht Kleidung, die wir uns aus Gründen der Dringlichkeit kaufen, weil wir ansonsten nackt herumlaufen müsste. Mode gibt einem ein anderes Gefühl von Nacktheit: eine Sehnsucht nach Vervollkommnung durch etwas, von dem man bisher nie gedacht hätte, dass man es einmal ganz dringend brauchen würde.

Das Problem ist bloß, dass diese Sehnsucht nie langfristig gestillt wird. Die Mode ändert sich ja alle drei Monate. Ich erlebe das immer wieder, wenn ich in einem gerade erst gekauften Kleid ein Geschäft betrete und auf der Stelle fünf Sachen sehe, die ich jetzt sofort haben will. Dann gehe ich in die Umkleide und steige aus meinem neuen Kleid, das ich eben noch heiß und innig geliebt habe und das mir jetzt, wie es da achtlos hingeworfen auf der Bank in der Kabine liegt, merkwürdig oll erscheint. Mode ist eine flüchtige Liebesaffäre.

Jede Saison bringt tausende von begehrenswerten Kleidern hervor, von Gucci, von Chanel, von Proenza Schouler, Saint Laurent, Marques‘ Almeida und Miu Miu. Ihr Begehrenswert aber ist in den meisten Fällen fiktiv. Durch geschicktes Marketing und lauter Profis, die ihr Geld damit verdienen, Klamotten aus China und dürre Mädchen mit Augenringen in unwiderstehliche Kleiderträume und elfenhafte Schönheiten zu verwandeln, entsteht beim Konsumenten die Illusion, nichts könne einen jetzt glücklicher machen als der Besitz dieses oder jenes Kleidungsstücks. Das ist ja das Gemeine an der Mode: Ihre Anhänger glauben, in ihr das erfüllende Glück zu finden. Darauf baut die Strategie der Modeunternehmen. Sie verkaufen ihren Konsumenten das Glück in kleinen, teuren Dosen, gerade so, dass man immer noch ein bisschen mehr davon will. Das ständige Gefühl der Unbefriedigung löst ein ständiges Verlangen nach immer Mehr und immer Neuem aus. Auch deshalb schaffen es immer wieder Trends und Labels ins Licht der Öffentlichkeit, die den Hype vielleicht gar nicht verdient hätten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Newcomer-Marke des Jahrzehnts: Vetements. Das siebenköpfige Kollektiv um Demna Gvasalia macht gelbe T-Shirts mit DHL-Logo (245 €), nachlässig drapierte Kleider aus Polyester (1580 €), Jeans ohne Hosentaschen (1150 €) und überlangärmlige Jerseypullover mit Kapuze (460 €). Vetements wurde 2014 gegründet. Es dauerte keine zwei Saisons, da schrien plötzlich alle, Wahnsinn, genial, das wollen wir! Auch ich verfiel der Euphorie und lieh mir für ein Fotoshooting das grüne Lurex-Kleid, auf Instagram hatte das in meinen Augen märchenhaft schön ausgesehen. Das Kleid entpuppte sich als grasgrüner Lumpen, unglaublich unvorteilhaft geschnitten, das Material kratzig und künstlich. Es sah aus wie eine billige Kermit-Verkleidung aus der Faschingsabteilung von Karstadt.

Tatsächlich ist das Märchen von Vetements nichts weiter als ein Remake von Des Kaisers neuen Kleidern. Die Sachen sind der reinste Betrug, eine Verarschung. Lustigerweise sind sich die Leute von Vetements dieser Tatsache gerade bewusst, sie spielen damit. Neulich traf ich Demna Gvasalia für das ZEITmagazin zum Interview (ab heute zu lesen!). „Ich bin kein Modedesigner“, erklärte er mir. „Wir machen bei Vetements gar keine Mode. Wir haben doch gar nichts neu erfunden. Wir machen einfach nur Klamotten zum Anziehen.“ Und gerade das finden offenbar alle wahnsinnig aufregend. Im Grunde hält Vetements der Modewelt den Spiegel vor: Euch Deppen kann man, wenn man es schlau anstellt, wirklich alles verkaufen.

Vetements Sommer 2016
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Vetements Sommer 2016
Vetements Sommer 2016

Dass man viele dieser Seifenblasen namens Hype manchmal erst viele Saisons später durchschaut, lässt einen immer wieder am eigenen Urteilsvermögen zweifeln. Bin ich überhaupt in der Lage, mir eine eigene Meinung darüber zu bilden, welche Kleider wirklich toll sind und welche einfach nur mit viel Pauken und Trompeten gefeierter Schrott? Auch aus dem Überangebot an unterschiedlichsten Stil-Idealen entsteht Ratlosigkeit. Sie alle versprechen Glamour, Schönheit und Coolness. Aber was davon passt wirklich zu mir, und was verkleidet mich bloß? Diese Orientierungslosigkeit macht nicht glücklich. Im Gegenteil: Sie führt zu enttäuschten Illusionen, wenn man fest stellen muss, dass einem der Fransenmantel nicht so gut steht wie dem Model auf dem Laufsteg, und zu Fehlkäufen, zu denen man sich aus Verunsicherung und Leistungsdruck verleiten ließ.

Leistungsdruck? Oh ja. Wer sich für Mode interessiert, oder, noch schlimmer, in der Modewelt arbeitet, hält dem verlockenden Angebot von immer neuen musthaves nur selten stand. Gleichzeitig wird man in der Modebranche meistens schlecht bezahlt, steckt also andauernd in dem Dilemma, sich Kleider leisten zu wollen, die so viel kosten wie ein Monatsgehalt. Am schlimmsten ist es bei den Fashion Weeks, wo dein Ruf ja mittlerweile davon abhängt, wie grandios gekleidet du bei den Schauen aufschlägst. Hoffentlich hast du was anderes an als letzte Saison, denn das kennen die Leute ja schon. Hoffentlich hast du bei der letzten Show von Prada aufgepasst und kombinierst jetzt dicke Seemannssocken zu High Heels und Seidenkleid. Hoffentlich siehst du ganz anders aus alle anderen und trotzdem gerade so, als wärst du mitten drin in der Crowd. Die Modewelt ist wie ein Nachtclub: immer geht es darum, wer reinkommt und wer draußen bleiben muss.

Mode ist wie Feierngehen: im Rausch der Nacht, des Alkohols, der Musik und der flirtiven Atmosphäre empfindet man ein Gefühl elektrisierender Lebendigkeit. Nichts kann einen aufhalten, man ist stark, cool und unglaublich sexy.

Und dann wacht man am nächsten Tag mit hämmernden Kopf auf und fragt sich: Wozu das alles?

In der Mode läuft es genauso. Das Einkaufen selbst macht riesigen Spaß. Man sieht im Geschäft in diesem Wahnsinnskleid mit Federsaum, Flugärmeln und Mohnblumendruck in den Spiegel und denkt: Endlich bin ich die, die ich schon immer sein wollte. Der Moment ist gekommen: Ich bin vollkommen.

Und dann steht man eines Morgens vor seinem Kleiderschrank und wundert sich: Dieses olle Kleid? Was habe ich mir damals bloß dabei gedacht?

Überhaupt: Wie oft stand man schon vor einem überfüllten Kleiderschrank auf der Suche nach Kleidern („Ich habe nichts anzuziehen!“)? Wie oft hatte man schon ein schlechtes Gewissen, nach dem man mal wieder in irgendeinem Laden zu viel Geld ausgegeben hatte? Immer denkt man, man hätte eigentlich viel zu viel, und fühlt sich gleichzeitig auf wundersame Weise niemals perfekt ausgestattet.

Vielleicht liegt genau in diesem Zuviel des Rätsels Lösung.

Denn so apokalyptisch das alles klingt: Natürlich will ich der Modewelt niemals den Rücken kehren. Ich liebe die Mode, vielleicht gerade wegen des Widerspruchs, auf dem sie beruht: Die permanente Sehnsucht nach schöner Kleidung ist ja auch eine Form hingebungsvoller Faszination. Für mich gibt es nichts Schöneres, als abends vor einem hell erleuchteten Schaufenster zu stehen und mir vorzustellen, ich sei die Puppe da oben in dem gestreiften Prada-Kostüm. Neulich stand ich in Paris vor der Scheibe der Hermès-Boutique, wo ein Meer aus Seidentüchern wogte, mit kleinen Haifischflossen zwischen den bunt bedruckten Wellen. Mode lädt zum Träumen ein, sie lässt einen fantasieren, wer man einmal werden könnte. Man muss sich halt nur darüber im Klaren sein, dass nicht jeder Traum in Erfüllung geht.

Vielleicht haben wir uns alle an der Mode überfressen, bis uns schlecht geworden ist. Die Branche merkt es mittlerweile selbst: Es gibt zu viele Kollektionen, ein Überangebot an Kleidern und Taschen und Schuhen, die Monate nach den Schauen in die Läden kommen und bis dahin die Geduld der Konsumenten strapazieren, die ständig gefüttert werden wollen, weil sie es mittlerweile so gewohnt sind.

Mode ist heute immer und überall erreichbar – 24 Stunden lang, 7 Tage die Woche. Onlineshopping hat unser Einkaufsverhalten verändert, plötzlich findet der Einkaufsbummel rund um die Uhr statt. Früher ging ich zweimal im Jahr mit meiner Mutter in die Stadt, Kleider für die neue Saison einkaufen. Damit war das Thema erledigt. Heute lasse ich mich immer wieder von den Angeboten der Onlineshops ablenken. Allein während der Arbeit an diesem Text habe ich ungefähr vierzehn Mal nachgeschaut, ob die Chanel-Sandaletten noch zu haben sind. Ziemlich nervenaufreibend.

Handbestickte Bluse von Koché, Sommer 2016

Ich glaube, Mode ist eine schöne Sache, solange man Sicherheitsabstand zu ihr hält. Sie kann glücklich machen, wenn man sich ihres Überflusses bewusst ist. In diesem Jahr habe ich entschieden, mein Einkaufsverhalten radikal zu ändern. Ich möchte anfangen, Kleider zu kaufen wie Kunstsammler seltene Gemälde und Musikliebhaber Plattenspieler. Gerade habe ich eine gerüschte Bluse von Koché im Visier, handgemacht. Mein erstes Stück Couture. Diese Bluse ist sehr teuer, aber ich weiß, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn ich sie mir kaufe – das habe ich nur, wenn ich so im Vorbeigehen bei H&M ein paar Sachen mitnehme. Ich möchte nur noch Stücke kaufen, deren Begehrenswert auch nach der ersten Euphorie nicht verschwindet. Nicht solche, für die ich mich im Laden auf den Boden werfe vor Sehnsucht, nur um hinterher festzustellen: War die Aufregung eigentlich nicht wert.