Lange Zeit hielt ich die Autokorrektur für das schlimmste Luxusproblem des digitalen Zeitalters. Problem, weil plötzlich dauernd Wörter in meinen Kurznachrichten mutierten und dem Text damit eine völlig neue, nicht selten befremdliche Bedeutung verliehen. Luxus, weil die Autokorrektur, also jener Mechanismus, der auotmatisch flasch gechsriebene Wötrer korigiert, ja eigentlich gut gemeint war. Aber wenn aus „Ohlala!“ plötzlich „Phallus!“ wird und mein Emailprogramm meinen Nachnamen vorsorglich in „Biermann“ verwandelt, dann haben wir ein Problem. Ist nämlich nervig, genau wie der Brasilien-Jetlag, der mich seit Tagen um den Schlaf bringt, oder die in Zeitlupe operierende Kassiererin im Biomarkt, oder überhaupt alle Luxusprobleme, die ja irgendwie nicht weltbewegend schrecklich, aber doch immer wieder ein schöner Grund zur Aufregung sind. An den Übereifer des Autokorrekturprogramms habe ich mich allerdings mittlerweile gewöhnt. Jetzt plagt mich ein ganz anderes Übel: die Sprachnachricht.
Neuerdings versenden viele Leute in meinem Umfeld Sprachnachrichten. Das heißt, sie schreiben mir keine SMS mehr, wenn sie mich etwas fragen wollen – zum Beispiel: „Hey Claire, wann treffen wir uns heute Abend?“ – sondern labern stattdessen minutenlang in das Mikrofon ihres Handys. Diese Aufnahme wird verschickt, und ich darf mir das Gelaber anhören. Natürlich passiert bei der Aufzeichnung dieser Sprachnachrichten das, was immer passiert, wenn Menschen plötzlich ungestört Monolog halten dürfen: sie verlieren den Faden.
In ihrer jüngsten Sprachnachricht fragte mich meine Freundin A. allen Ernstes, wie es in Brasilien war, um direkt danach, weil ich ja nichts dazu sagen konnte, weiterzuplappern, dass es wahrscheinlich toll war und wann ich sie in Brüssel besuchen käme und an welchem Flughafen ich am besten landen solle, der bombardierte sei wieder offen, aber in der Nähe ihrer Wohnung wohnten möglicherweise, wahrscheinlich, Terroristen. Ihr Vortrag dauerte dreieinhalb Minuten. Nach den ersten dreißig Sekunden schweifte ich ab und hörte nicht mehr hin.
Bitte, versteht mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen den Klang schöner Stimmen. Aber ich lausche ihnen lieber, wenn sie mich zwischendurch auch mal zu Wort kommen lassen. Wer mir eine Sprachnachricht schickt, gibt mir das Gefühl, die Sekretärin eines wichtigen Geschäftsmannes zu sein, der keine Zeit hat, der Untergebenen seine Befehle persönlich vorzutragen und sie stattdessen in ein Aufnahmegerät diktiert. Ich finde eine Kommunikation auf Augenhöhe über Sprachnachrichten ausgesprochen schwierig. Als Empfänger ist man immer der Depp. Um zu erfahren, was der Sender von einem will, muss man die Sprachnachricht öffnen und vollständig anhören – es könnte ja durchaus was Wichtiges sein. Ist es aber meistens nicht. Eine Textnachricht kann man schnell überfliegen und später beantworten (oder ignorieren). Außerdem kommt der Sender beim Schreiben schneller zum Punkt als beim Sprechen, denn weil Schreiben anstrengend ist, reduziert man sich dabei auf das Wesentliche. Beim Sprechen muss man sich nicht reduzieren, man kann einfach bequem ins Blaue hineinplappern. Genau darin liegt für den Sender von Sprachnachrichten ja auch der Reiz.
„Toll, diese Sprachnachrichten“, sagte meine Mutter, nach dem sie das Tool auf ihrem iPhone entdeckt hatte und fortan nichts anderes mehr tat, als Sprachnachrichten zu verschicken. „Beim Aufnehmen kann man sogar Auto fahren!“ Was man beim Anhören dieser Aufnahmen nicht kann: in einem Großraumbüro sitzen. Oder im Café. Oder in der U-Bahn. Oder in einem DB-Abteil. Oder irgendwo sonst im öffentlichen Raum, denn entweder ist es zu still, und alle Umstehenden hören mit, oder es ist zu laut, und man versteht kein Wort. Unpraktisch ist außerdem, wenn die Sprachnachricht doch mal brauchbare Informationen enthält, zum Beispiel die Adresse des Restaurants, in dem man sich später treffen will, oder den Namen eines guten Zahnarztes. Man muss also genau aufpassen, oder in meinem Fall, die ich weder beim Tatort noch in Univorlesungen länger als zwei Minuten am Stück zuhören kann, ohne zwischendurch abzuschweifen, mitschreiben. Andernfalls bleibt einem nichts anderes übrig, als die Sprachnachricht ein zweites Mal anzuhören. Und das will ja keiner. Die Sprachnachricht hat wirklich nur Vorteile für den, der spricht.
Glücklicherweise habe ich jetzt ein effektives Mittel gegen die epidemische Sprachnachricht gefunden: ich höre die Aufnahmen von Wiederholungssprachnachrichtensendern einfach gar nicht mehr an. Aus Protest. Anfangs dachte ich noch, die Methode wäre vielleicht doch ein bisschen radikal, eventuell entgingen mir ja wirklich akut wichtige Meldungen, wenn ich die Sprachnachrichten nicht anhörte. Dann stellte ich fest: wer mir was Weltbewegendes mitzuteilen hat, schreibt das zur Not auch noch mal in zwei knackigen Sätzen auf. Und wie wäre es sonst mal wieder mit dem guten alten Telefongespräch?