Einen Tag vor der Wahl war Instagram voller Hillarys. Hillary in bunten Anzügen. Hillary als Studentin. Hillary mit Stirnband, Hillary im weißen Blazer. Hillary in strahlender Siegerpose. Ich speicherte mir das Bild auf dem Handy ab, für später. Lena Dunham trug Hillary-Socken. Der Hashtag #Imwithher verzeichnete knapp 1,3 Millionen Beiträge. Die amerikanische Vogue zeigte online ein riesiges Aufmacherbild einer wunderschönen, goldblonden Hillary. Amerikanische Journalisten, Fotografen, Künstler, Persönlichkeiten, die ich für einflussreich und wichtig halte, forderten auf ihren Social-Media-Kanälen dazu auf, zur Wahl zu gehen, um nicht den Falschen gewinnen zu lassen. Ich ahnte, dass die Wahl knapp werden würde, aber davon, dass Hillary gewinnen würde, war ich doch überzeugt. Schließlich hatten das auch meine New Yorker Freundinnen bekräftigt, mit denen ich erst vor zwei Wochen in einem hippen Restaurant in Downtown gesessen hatte: Donald Trump hat keine Chance. Cheers!
Und dann gewann er.
Am Tag vor der US-Wahl sangen vor meiner Tür in Berlin rechte Abendspaziergänger die deutsche Nationalhymne, dazu schwenkten sie Deutschlandflaggen und riefen irgendwas von wegen „Nicht mit uns“ und „Wir kommen wieder“. Mir wurde schlecht. Was sind das für Leute?, dachte ich fassungslos. Und jetzt: was sind das für Leute, die Donald Trump gewählt haben? In meinem wohlkuratierten Newsfeed, auf den Titelseiten meiner Lieblingszeitungen hat mich keiner darauf vorbereitet. Überall war nur von Hillary die Rede. Die Medien wetterten global nahezu einstimmig gegen Donald Trump. Ich dachte, ich wäre gut informiert, ich habe den Umfragen, von denen die New York Times berichtete und laut denen Hillary vorn lag, geglaubt, ich dachte, die weltoffenen, sozialdemokratischen, klugen Amerikaner müssten doch in der Überzahl sein. Aber wenn uns diese Wahl etwas gelehrt hat, dann das: das Leben ist kein Instagram-Feed, die Medien sind längst nicht so mächtig, wie wir denken, und wahrscheinlich war unsere Sicht auf die Welt noch nie so beschränkt wie heute, im sogenannten Informationszeitalter.
Wie kann es sein, dass wir aufgeklärten Weltbürger im Jahr 2016 einen Donald Trump nicht ernsthaft haben kommen sehen? Wie kann es sein, dass wir die Entscheidung von fast der Hälfte aller amerikanischen Wähler nicht im geringsten nachvollziehen können, dass wir nicht wissen, wer diese Mehrheit ist, die ein unberechenbares, jähzorniges, sexistisches und rassistisches Arschloch zum Commander in Chief gewählt hat, dass uns diese Menschen so fremd sind, als lebten sie auf einem anderen Stern? Warum weiß ich nicht, was das für Leute sind?
Von Hitlers Verbrechen und dem Bau der Berliner Mauer bekamen die meisten Menschen erst Wind, als es zu spät war. Das war lange vor dem Internet, vor Push-Nachrichten und 24-Stunden-Onlineredaktionen. Heute werden wir rund um die Uhr über das brandaktuellste Weltgeschehen informiert. Gleichzeitig ist unser Blick auf die Welt heute unglaublich selektiv. Gerade weil wir meinen, so umfassend informiert zu sein, nehmen wir das, was uns unsere Newsfeeds und in der Lesezeichenleiste markierten Zeitungsmedien auftischen, automatisch als Norm wahr. Die Blase, in der wir es uns gemütlich gemacht hatten mit diesen ausgesuchten Informationshäppchen, mit unseren Lieblings-Hollywood-Feministinnen und New-Yorker-Kolumnisten, ist jetzt geplatzt. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Vor meiner Haustür, mitten in Berlin, wüten Nazis. Im Sommer hat in Großbritannien die Mehrheit der Wähler für den Austritt aus der EU gestimmt. Was, frage ich mich heute entsetzt und zum ersten Mal in meinem Leben ernsthaft beunruhigt, ist mir bloß entgangen?