Ich hatte neulich ein schönes Erlebnis. Es war Samstag, und ich war halb erschöpft von meiner Post-Urlaubs-Depression, halb wütend, weil ich meinem Gefühl nach mal wieder viel zu wenig in dieser Woche geschafft hatte. Außerdem hatte ich Bauchweh. Weil ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte, ging ich spontan in die Stadt und kam dort an einem Perlenladen vorbei. Auf dem Laufsteg von Jacquemus hatte ich kürzlich einen tollen Ohrring entdeckt, eine einzelne lange Schnur aus bunten Perlen. Der Ohrring erinnerte mich an die vielen Samstagnachmittage, die ich mit meiner Schwester früher auf dem Kinderzimmerteppich verbracht hatte, umgeben von Marmeladengläsern voller Perlen. Wir bastelten Schmuck und hörten dazu Die Drei ???. Die meisten unserer Entwürfe waren zu hässlich, um sie hinterher zu tragen. Meine Armbänder gingen immer kaputt, weil ich zu faul war, sie ordentlich zuzuknoten. Aber das Ziel unserer Unternehmung war ohnehin ein anderes – nämlich gar keins. Es war ein rundum ambitionsloses Vergnügen.
Es ist also Samstag, ich stehe vor diesem Perlenladen und denke an meine Schwester, und da kommt mir spontan die Idee, Jacquemus’ Ohrring einfach selbst zu basteln. Ich gehe in den Laden, suche die Perlen aus und probiere verschiedene Auffädelvariationen aus. Dann lasse ich mir von einem netten Mädchen mit Sommersprossen den Clipverschluss an den Ohrring klemmen. Eine halbe Stunde später bin ich 15 Euro ärmer und habe eine bunte Perlenschnur am Ohr hängen, die so gut aussieht, dass mir Jacquemus fast leid tut. Meine Bauchschmerzen sind verschwunden, und ich habe ziemlich gute Laune. Die Therapiegesellschaft kennt alle möglichen Behandlungsmethoden, um den vielen Gebrechen unserer Zeit – Angstzustände, Völlegefühl, Glutenintoleranz, negatives Denken – beizukommen. Man kann Yoga machen, meditieren, die Pille absetzen, einen Coach aufsuchen, mit Kokosöl kochen oder einen Ayahuasca-Trip buchen. Aber daran, sich einfach mal ein Hobby zu suchen, eine Beschäftigung, die keine Körperoptimierung zum Ziel hat, sondern nichts weiter als Spaß macht und ablenkt, denkt irgendwie keiner. Basteln ist so eine Tätigkeit: man kann dabei kein Handy in der Hand halten, sondern muss sich konzentrieren. Gleichzeitig vergisst man alles, was einen gerade so nervt, den WG-Streit, die letzte Email vom Chef, alles ist egal, wenn man bastelt. Oder Klavier spielt, oder kocht, oder den Garten umgräbt.
Ich habe beschlossen, die nächsten sechs Monate einfach gegen den Lichtentzug anzubasteln. Auf den Laufstegen der aktuellen Saison habe ich dafür herrliche Anregungen entdeckt: ein Fußballtrikot mit Blumenbrosche zum Beispiel, Gummihandschuhe zum Abendkleid, oder eine Korbtasche mit Muscheln. Allein die neuen Kollektionen anzuschauen, war ungemein meditativ. Vielleicht sollte ich einen Ratgeber schreiben? Besser nicht. Stattdessen gibt es hier und jetzt die besten Laufsteglektionen zum Selbermachen. Anschließend erwarte ich Resultate in der Kommentarleiste (mit Fotobeleg!).
Neues Bündnis
Einmal habe ich mir die Hälfte eines Schneidezahns ausgeschlagen. Das Erstaunlichste an diesem Erlebnis war die Erkenntnis, wie vollkommen anders man mit nur fünf Millimeter weniger Zahn aussieht. So ähnlich funktioniert diese Hemd-Pullover-Kombi, gesehen bei Balenciaga. Den Pullover unterhalb statt oberhalb der Schultern zu knoten ist, ganz ehrlich, revolutionär.
Schickes Gummi
Farbige Gummihandschuhe haben gegenüber anderen Accessoires wie etwa schicken Handtaschen und großen Diamantringen zwei eindeutige Vorteile: 1. Jeder hat ein Paar davon im Haus. 2. Man kann sie zum Putzen in der Wohnung anlassen. Drittens, viertens und fünftens sehen sie unverschämt gut aus, zum Beispiel in rosa zu gelb, so gesehen bei Calvin Klein, oder auch in gelb zu rosa (meine Idee!).
Frauen-Fußball
Dieses Trikot mit Blumenbrosche ist wahrscheinlich mein persönliches Saison-Highlight. Es ist quasi die textile Verwirklichung der Art, wie Frauen Fußball gucken („Guck mal, der hat ja eine irre Frisur“, „Warum tragen Fußballtrainer eigentlich alle Anzüge?“, „Gibt es das Trikot auch in S?“). Dieser Entwurf von Koché ist genial und simpel zugleich – wahrscheinlich entstand er in irgendeiner Halbzeitpause.
Wildes Beige
Wichtig beim Kopf-bis-Fuß-Beige ist eine demonstrativ zur Schau gestellte Nachlässigkeit. Sonst sieht man aus wie eine Rentnerin, die ihren Rollator zuhause vergessen hat. Alles sollte schön hängen und luftig flattern, die Hosenbeine ein bisschen zu lang sein, der Mantel nur eben übergeworfen, man sollte so aussehen, als hätte man in großer Eile das Haus verlassen, weil man eben eine so vielbeschäftigte junge Frau ist. Hat man diese Bedingung erfüllt, kann Beige in seinen verschiedenen Schattierungen, wie hier bei Céline zu sehen, eine ganz aufregende Farbe sein.
Von zart bis hart
Letztes Jahr war Geschmacklosigkeit auf den Laufstegen total in – es gab alles Mögliche aus Vinyl zu sehen, dazu Bauchtaschen, weiße Stiefel, solche Sachen. Den Lackledermantel sind wir, wie dieser Entwurf von Christopher Kane zeigt, immer noch nicht los, dafür zeigt er sich jetzt mit adligen Rüschenblusen – eine Kombination, die aussieht wie Marie Antoinette auf der Reeperbahn. Toll!
Bitte klammern
Da stehst du morgens vor dem Spiegel, in der Hoffnung, endlich mal alles richtig gemacht zu haben. Dein Outfit hattest du dir schon gestern Abend überlegt, diese Bluse mit dieser Jeans, dazu die neuen Ringelsocken, unter der Bluse noch ein Rollkragenpullover, dazu Papas Fliegerjacke und eine rosa Sonnenbrille. So stehst du also vor dir, alles andere als überzeugt. Dabei wolltest du doch endlich mal interessant aussehen! Das wäre allerdings auch einfacher gegangen: Statt einen aufwendigen Zwiebellook zu schichten, hättest du einen schönen Mantel anziehen und eine Wäscheklammer dran klemmen können. Es sind doch immer die schlichten Dinge, die das Leben besonders machen. (Gesehen bei Christopher Kane)
Gut betucht
Hier ein Vorschlag, wie man ein bereits getragenes Silvesterkleid als solches unkenntlich macht: Man drapiert ein aus dem Vintage-Geschäft des Vertrauens bezogenes Seidenfoulard darüber und fixiert es mit einem Gürtel oder einer Brosche. Erfunden hat’s natürlich Dries van Noten.
Bonbon-Ohren
Aus Jacquemus‚ Sommerkollektion kann man eine ganze Menge lernen, nicht nur, wie gut ein einzelner, bonbonfarbener Ohrring aussieht. Bad-Hair-Days begegne ich künftig mit einem um den Kopf geschlungenen schwarzen Seidenschal (den man auch selbst nähen kann). Und der Beginn der dunklen Jahreszeit ist der völlig falsche Zeitpunkt, auf das Schminken zu verzichten. Mit Charlotte Tilburys „Supermodel Body Lotion“ , die ich mir, rebellisch wie ich bin, ins Gesicht schmiere, sieht man so aus, als käme man gerade von einem heißen Schäferstündchen in einer süditalienischen Badebucht.
Topfkopf
Dass man niemals irgendwas weggeben sollte, weder Putzhandschuhe noch Wäscheklammern noch Topfhüte, beweist diese Laufstegerscheinung, gesehen bei Loewe. Einen Häkeltopfhut trug ich zum ersten Mal mit acht an einem Sommertag, den ich mit meinen sechs libanesischen Cousinen verbrachte. Wir trugen alle den gleichen Häkeltopfhut, nur in unterschiedlichen Farben, und sahen, wie wir so durch den Wald rannten und uns mit Stöckchen bewarfen, wahrscheinlich wie eine Truppe exzentrischer Pfadfinder aus. Ein Look, der in Zeiten des Öko-Trends offenbar wieder schwer gefragt ist.
Schöner schreddern
Schreddern stelle ich mir noch befriedigender als Perlenohrringebasteln vor, weshalb ich überlege, mir eine Schreddermaschine zu Weihnachten zu wünschen. Ob man dort auch einen Trenchcoat einspannen kann? Eine scharfe Stoffschere tut es für so einen Trench Coat, gesehen bei Loewe, aber wahrscheinlich auch.
Perlen im Haar
Das letzte Mal, das ich Perlen im Haar hatte, war ich 14 Jahre alt und auf dem Weg zu meinem Abtanzball. Ich trug eine Hochsteckfrisur, in die ich goldene Nadeln mit Perlen dran reingepikst hatte, fühlte mich wie Dornröschen, sah aber natürlich oberspießig aus. Bei Simone Rocha erleben Perlen im Haar in dieser Saison ein verdientes Comeback – nämlich zu schön flatterndem, zerzaustem Haar, das von Spangen im Stil der 20er Jahre gezähmt wird. Man sollte unbedingt mehrere auf einmal tragen und sie an überraschenden Stellen am Kopf platzieren (zum Beispiel obendrauf).
Mit Muscheln tuscheln
Endlich ist eine Verwendung für die im letzten Urlaub gesammelten Muscheln und Schnecken gefunden, die seit Juli auf dem Badezimmersims vor sich hinfaulen und dort irgendwie gar nicht mehr so romantisch aussehen wie damals im Sonnenuntergang am Nordseestrand. Rebecca de Ravenel hat mit ihrem Treibgut der vor lauter Trendsein schon etwas ermüdeten Strohtasche einen neuen Anstrich verpasst. Das kann man mit etwas Sekundenkleber sehr gut selber machen.
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